Von Tschaikowsky erzogen

Die russische Tänzerin Olga Wiegand gibt kleinen Mädchen Ballettunterricht –in Hamburg- Wilhelmsburg, einem jener Bezirke, die öffentlich meist nur als Problemviertel auftauchen. „Die Kinder kriegen dabei eine andere Haltung“, sagt eine Mutter. „Die Musik erzieht innerlich“, glaubt die Lehrerin

VON FRIEDERIKE GRÄFF

Die Tutus der zwölf Mädchen sind rosafarben, rosa sind auch ihre Stulpen und rosa sind die Bänder in ihrem Haar. Es ist die Gruppe der Drei-bis Fünfjährigen, beim Knicks fangen sie ein bisschen an zu wanken und beim Pippi-Langstrumpf-Lied juchzen sie auf. Alles ist so, wie Ballettstunden immer waren und immer sein werden, nur dass diese Mädchen in Hamburg-Wilhelmsburg leben, einem jener Stadtteile, über die immer dann berichtet wird, wenn es um soziale Brennpunkte geht und um Menschen, die nicht glauben, dass ihre Kinder es einmal besser haben werden als sie selbst.

Olga Wiegand unterrichtet seit fünf Jahren die Ballettgruppen des SV Wilhelmsburg, sie trägt schwarz und hat ihren Abschluss als Tänzerin an der staatlichen Ballettschule Minsk gemacht. „Ich möchte, dass die Kinder hier etwas lernen“, sagt sie. „Ich möchte, dass sie sich benehmen.“ Also sagt sie „Mund zu“ zu Mareen*. „Sonst ist es mir sehr peinlich. Und euch muss es auch peinlich sein.“ Als Olga Wiegand von Minsk nach Deutschland kam, war sie überrascht über den Umgangston. „Bei uns war es ganz streng“, sagt sie. „Ich finde, das ist besser.“ In Deutschland sei der Unterricht viel spielerischer, alles solle immer möglichst schmackhaft gemacht werden. In Minsk wurden fünf von 180 Kindern für den Ballettunterricht ausgewählt, da stand es nicht zur Debatte, irgendjemandem irgendetwas schmackhaft zu machen.

Die Mütter draußen sagen, dass Olga Wiegand strenger sei als andere Lehrer, aber sie nehmen es hin. „Die Kinder kriegen eine andere Haltung“, sagt eine Mutter. „Ich kannte so etwas gar nicht“, sagt eine andere. „Meine Eltern haben nur gearbeitet. Aber wir nehmen uns Zeit.“

„Zum Ballett kommt eine bestimmte Schicht“, sagt Olga Wiegand. „Es sind nicht die Kinder von der Straße.“ Die nicht-deutschstämmigen Kinder sind in der Minderheit. Zwei sind in der Gruppe der Älteren, sie tragen nicht rosafarbene Röckchen wie die anderen sondern Turntrikots. Sobald die Kinder aus dem Grundschulalter heraus sind, schrumpfen die Ballettgruppen. Denn die Eltern ziehen dann in die Nachbarbezirke, weil sie glauben, dass die Schulen dort besser seien.

Eine der Mütter hat selbst zehn Jahre Ballett getanzt, jetzt holt sie ihre Tochter ab, doch lange werden sie nicht mehr in Wilhelmsburg bleiben. „Es war ein Versuch“, sagt sie. 70 Quadratmeter Altbau waren für sie in Wilhelmsburg erschwinglich, aber mittlerweile hält sie nichts mehr in dem Stadtteil. „Die Leute sind nicht miteinander in Kontakt“, sagt sie. „Was mich nervt, ist das Asoziale.“ Die Leute, die sich nicht entschuldigen, wenn sie einen anrempeln, der Müll, den jeder herumschmeißt, das Machotum der Jungs an den Schulen. „Es gibt hier sehr gute Kindergärten“, sagt sie. „Aber die Mitarbeiter wollen alle nicht hier leben.“ Die Mutter ist in Winterhude aufgewachsen, einem feinen Hamburger Stadtteil, nördlich der Alster. Nun wird sie mit ihrer Tochter ins Grüne ziehen. „Die Leute versuchen es hier schönzureden.“

Olga Wiegand lebt auch nicht in Wilhelmsburg. Sie kann nur sagen, dass die Kinder in Eppendorf, wo sie ebenfalls unterrichtet, verwöhnt sind. Dass sich dort auch Jungen fürs Ballett angemeldet haben, was in Wilhelmsburg noch nie vorgekommen ist. Olga Wiegand hat noch nie von Royston Maldoom gehört, dem berühmten Choreographen, der mittlerweile auch in Hamburg ein Tanzprojekt mit sozial Benachteiligten veranstaltet hat. Sie will den Kindern beibringen, wie sie ein ordentliches „Relevez“ machen. Sie sagt streng „Das ist nicht lustig“, wenn die anderen Kinder lachen, als Lena bei einer Figur das Gleichgewicht verliert und hinfällt. Und was verändert sich, wenn man tanzt? „Die Musik erzieht innerlich“, sagt Olga Wiegand und legt Tschaikowsky auf. „Man kommt auf andere Gedanken.“

*Alle Kindernamen geändert