: „Auf diesen Stoff habe ich gewartet“
HÖRSPIELTAGE Immer wenn der US-Soldat Jonathan Trouern-Trend im Irak Zeit fand, beobachtete er Vögel. Marcel Beyer adaptierte die Geschichte fürs Radio und könnte damit den Deutschen Hörspielpreis gewinnen
■ Zum fünften Mal finden vom 10. bis 14. November die ARD-Hörspieltage in Karlsruhe statt. Das Festival gilt als das größte seiner Art in Deutschland. Die Veranstaltung steht allen Interessierten offen und ist kostenlos. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten stellen ihre aktuellen Produktionen vor und bewerben sich um den Deutschen Hörspielpreis der ARD. Neben dem Rahmenprogramm wird auch der Publikumspreis ARD Online Award vergeben.
INTERVIEW JAN SCHEPER
taz: Herr Beyer, „Birding Babylon“ ist Ihr erster Ausflug ins akustische Genre. Wie kam es zu der Adaption des Stoffes?
Marcel Beyer: Seit der Arbeit an meinen Roman „Flughunde“ 1995 habe ich begonnen, mich intensiv mit der akustischen Welt auseinanderzusetzen. 15 Jahre lang habe ich nach einem guten Stoff für ein Hörspiel gesucht, der ganz auf das Medium zugeschnitten ist. Als mich der Berlin Verlag bat, für die deutsche Übersetzung von „Birding Babylon“ ein Vorwort zu schreiben, war mir schnell klar: Das ist genau das Radiofone, auf das ich gewartet habe. Gemeinsam mit der Regisseurin Iris Drögekamp begann dann ein ebenso dynamischer wie produktiver Schaffensprozess bereits bei der Entstehung des Manuskripts.
Das war sicher eine Umstellung. Wo lagen die markanten Unterschiede zur gewohnten schriftstellerischen Arbeit?
Wenn ich einen Roman schreibe, befinde ich mich in einem geschlossenen Raum. Dazu gehört immer wieder, eine gewisse Distanz zu den eigenen Figuren aufzubauen. Die Tagebuchaufzeichnungen von Jonathan Trouern-Trend sind mir unmittelbar als Lebensäußerung begegnet. Hinzu kommt der Aspekt, dass ich für einen Sprecher schreibe. Als Autor bewege ich mich damit zwangsläufig zwischen dem Erzähler und dessen akustischem Echo.
Sie beziehen also auch die technischen Aspekte mit in den Prozess des Schreibens ein?
Die technische Seite am Hörspiel hat mich immens interessiert. Klang funktioniert nicht bloß illustrativ. Iris Drögekamp hat, während ich am Text arbeitete, ein ungeheures Klangarchiv kriegsspezifischer Soundfiles angelegt und mir immer wieder auch Beispiele geschickt, die mich zum Weiterschreiben anregten. Auch bei den verwendeten Vogelstimmen und ihrem individuellen Gesangston ging es darum, möglichst aus dem Vollen zu schöpfen. Konkret heißt das für die Dramaturgie: Die Ruhe, zu der sich der Erzähler zwingt, muss durch eine parallel ablaufende Klangspur aufgebrochen werden. Zumal wir kein Dialogstück machen wollten. Der Hörer „belauscht“ den Protagonisten. Aber bei aller Begeisterung für das Geschehen im Studio – man muss den eigenen Text auch loslassen können.
Das Gefälle zwischen Natur und Krieg führt in „Birding Babylon“ zu einer explosiven atmosphärischen Dichte. Auf der einen Seite singende Vögel, auf der anderen sterbende Menschen und der militärische Alltag. Ein extremer Spagat …
■ Jahrgang 65, arbeitete als Lektor für die Literaturzeitschrift „Konzepte“. 1991 debütierte er mit dem Roman „Das Menschenfleisch“. Zuletzt erschien 2008 der Titel „Kaltenburg“ im Suhrkamp Verlag.
Die Realität erscheint surreal. Man landet in einem perfiden Wechselspiel von Kultur, Krieg, Flora und Fauna. Im Hörspiel entsteht daraus eine Spannung zwischen Fiktion und Wirklichkeit, die auch ein ästhetisches Erlebnis beinhaltet. Die Aufzeichnungen, insbesondere die ornithologischen Beobachtungen, von Jonathan Trouern-Trend hatten für ihn aber vor allem eine existenzielle Notwendigkeit. Es ist die Geschichte des eigenen „Überlebens“. Der Blog war in erster Linie für seine Familie und seine Freunde gedacht.
Haben Sie mit Jonathan Trouern-Trend während der Arbeit am Hörspieltext über dessen Erfahrungen gesprochen?
Nein, ich habe mich sehr intensiv online mit den Untiefen des Irakkriegs beschäftigt, bis hin zu den von der US-Regierung veröffentlichten Verhörprotokollen aus Abu Ghraib. Um dem medialen Sprung vom Internet zum Hörspiel gerecht werden zu können, bewegt man sich ständig zwischen der reinen Information und deren möglichem akustischen Äquivalent hin und her. Vor einem Kontakt mit Trouern-Trend hatte ich eine gewisse Scheu, auch um die unabhängige literarische Qualität des vorliegenden Textes zu wahren. Jetzt, nach der Produktion, würde ich mich gern mit ihm unterhalten.