„Viele falsche Angaben“

SYMPOSIUM Bremen hat als drittes Bundesland die NS-Biografien seiner Abgeordneten untersuchen lassen

■ 64, ist habilitierter Historiker mit Lehrbefugnis für Neuere Geschichte. Die Abgeordneten-Studie erstellte er im Auftrag der Bürgerschaft.

taz: Herr Sommer, fast hundert Bürgerschafts-Abgeordnete der Nachkriegszeit waren Mitglieder der NSDAP oder von NS-Organisationen, das ist fast ein Viertel der von Ihnen untersuchten Abgeordneten-Biografien. Sind Sie von dieser Größenordnung überrascht?

Karl Ludwig Sommer: Nein. Denn das entspricht dem Anteil an betroffenen Parlamentariern, der bei den Untersuchungen in Hessen und Niedersachsen zu Tage trat. Man hätte allenfalls denken können, dass in diesen agrarisch geprägten protestantischen Flächenländern, wo die NSDAP besonders stark war, die Kontinuität noch etwas größer sein würde.

Handelt es sich in Bremen eher um Mitläufer oder um Funktionäre?

Die große Mehrheit der Betroffenen waren einfache Mitglieder. Einige hatten zwar Funktionen im Herrschaftsapparat, aber wirklich „große Fische“ waren nicht dabei.

Wobei sich ja auch kleine Fische fies verhalten können.

Diesbezüglich habe ich nichts Eklatantes in den Akten finden können. Auffallend ist allerdings, wie viele der späteren Abgeordneten in ihren Entnazifizierungs-Fragebögen falsche Angaben gemacht haben.

Bis zu welchem Jahrgang haben Sie die Biografien der Nachkriegs-Abgeordneten untersucht?

Bis zum Geburtsjahrgang 1928 – das sind die Jüngsten, die theoretisch in die NSDAP hätten eintreten können. Und tatsächlich finden sich einige damals 17-Jährige, die direkt von der HJ weg in die Partei übernommen wurden. Von diesen damals sehr jungen Leuten sind dann später einige in der SPD aktiv.

In welchen Parteien haben sich die NS-Leute später vorzugsweise engagiert?

Außer die Grünen und die Linkspartei sind alle Fraktionen betoffen. Die Masse war bei der CDU, der FDP und der Deutschen Partei (DP), die Mitte der 50er in Bremen ebenso stark wie die CDU war. Daneben gab es in Bremen schon früh rechtsextreme Abgeordnete, angefangen von der Sozialistischen Reichspartei über die NPD bis zur DVU.

Wie zeigte sich der Einfluss der früheren NS-Leute inhaltlich?

Genau das wäre jetzt als nächster Schritt zu untersuchen. Doch um zu klären, ob es beispielsweise informelle Seilschaften mit NS-Hintergrund gab, müsste man recht aufwendig recherchieren. Dafür fehlt vermutlich leider das Geld. INTERVIEW: HENNING BLEYL

Öffentliche Präsentation der Studie und weitere Fachvorträge: 11 bis 15.30 Uhr, Haus der Bürgerschaft