Die Wirklichkeit ist latent bedroht

KOREA Fragen nach Transzendenz und dem richtigen Leben: Die Reihe „Korean Cinema Today“ zeigt die Vielfalt des koreanischen Kinos vom satirischen Psychothriller bis zum Animationsfilm

Das Unheimliche ist am ehesten ein gemeinsamer Nenner in koreanischen Filmen

Der Boden ist ziemlich steinig, in den Seung-yeon, eine Koreanerin in mittleren Jahren, die Samen versenkt. Aber schon bald erwartet sie hier saftigen Chinakohl, aus dem sie dann die Nationalspeise Kimchi machen wird. So-young, ein Mädchen, das sich mit ihr in ein einsames Haus zurückgezogen hat, beobachtet staunend die biologischen Prozesse und scheint gar nicht zu bemerken, dass sie hier auch vor einer starken Metapher steht. Denn So-young ist schwanger, und Seung-yeon erwartet das Kind.

In dem koreanischen Film „Godsend“ („Sinui-Seonmul“) von Moon Si-hyun geht es um eine Transaktion zwischen diesen beiden ungleichen Frauen. Die eine ist jung, lebt unverbindlich, will kein Kind. Die andere ist verheiratet, und ersehnt sich nichts mehr, als Mutter zu werden. Dass sie nebenbei Gärtnerin ist, passt ins Bild, und dass So-young auch so eine Art Tochter für sie, ebenso.

Das Drehbuch zu „Godsend“ stammt von Kim Ki-Duk, dem wohl bekanntesten Filmemacher aus Korea, bekannter noch als Bong Joon-ho, der gerade mit „Snowpiercer“ einen tollen Arthouse-Blockbuster um die Welt geschickt hat. Wer sich über diese beiden großen Namen hinaus für koreanisches Kino interessiert, muss schon bei der Berlinale in die Spezialsektionen gehen oder sich auf eigene Faust mit DVDs aus Asien versorgen. Da ist es hilfreich, dass das Haus der Kulturen der Welt auch in diesem Jahr wieder eine Auswahl von koreanischen Filmen zeigt, die 2013 auf dem Festival von Busan debütierten. „Korean Cinema Today“ eröffnet am Donnerstag, insgesamt laufen bis 4. Mai zehn Langfilme, zudem gibt es ein Kurzfilmprogramm und eine interessante Filminstallation zu sehen, in der die koreanische Walfangindustrie kritisch dokumentiert wird.

Zehn Filme, das kann natürlich nicht mehr sein als eine Zufallsmenge, aus der man besser keine allgemeinen Schlüsse auf die Lage einer Nationalkinematografie zieht, die insgesamt einen starken Markt bildet. Die Auswahl im Haus der Kulturen der Welt versucht, möglichst viele Formen und Genres einzubeziehen, so auch einen Animationsfilm wie „The Fake“, in dem es um apokalyptische Religiosität geht. Fragen nach Transzendenz und dem richtigen Leben tauchen dabei an vielen Stellen von „Korean Cinema Today“ auf. Dabei fällt auf, dass christliche Religiosität häufig auf traditionellen Ahnenglauben trifft, wie in „Thuy“ von Kim Jae-han, in dem ein vietnamesisches Mädchen in eine koreanische Familie heiratet, die in einer Gegend lebt, in der noch alte Fischerbräuche überliefert werden, die aber im Begriff sind, allmählich vergessen zu werden. In einer ruhigen Erzählung entfaltet sich in „Thuy“ ein komplexes soziales Gefüge, in dem ein Polizist aus Seoul, der aus unklaren Gründen in diese Gegend kam, eine wichtige Rolle bekommt.

Ähnlich kontemplativ nähert sich Lee Yong-seung in „10 Minutes“ („Ship Bun“) der koreanischen Arbeitswelt. Ein strebsamer junger Mann kommt als Praktikant in eine Firma, deren Unternehmenszweck nicht gleich deutlich wird. Irgendetwas mit Medien. Er erwähnt beim Vorstellungsgespräch eine Passion für die „Wirklichkeit“, was ihm gleich einmal ein ironisches Lächeln einbringt. Dann wird er allmählich in diesen grotesken Betrieb hineingesaugt und steht schließlich vor einer schwierigen Entscheidung. Halb Satire, halb Psycho-Thriller, zeugt „10 Minutes“ von einem Faktor, der sich in vielen koreanischen Filmen entdecken lässt: Die Wirklichkeit, was immer das ist, erscheint als unverlässlich, als latent bedroht von Elementen, die aus Genrelogiken kommen. Das Unheimliche ist noch am ehesten ein gemeinsamer Nenner in koreanischen Filmen.

Zum Reichtum des Programms trägt auch eine Wiederentdeckung bei. „Black Hair“, ein Schwarz-Weiß-Film von Lee Man-hee aus dem Jahr 1964, verschränkt auf brillante Weise männliche Gangsterethik mit weiblichen Rollenbildern. Ein Boss geht hier daran zugrunde, dass er einerseits seiner (nach einer Vergewaltigung!) untreuen Frau gegenüber die „Regeln“ durchsetzt, sie aber andererseits unverbrüchlich liebt. „Black Hair“ ist ein großartiges Gangstermelodram, in dem der Zeitgeist einer erwachenden Popkultur mit sexueller Politik intensiv durchsetzt ist. BERT REBHANDL

■ Korean Cinema Today: HKW, 24. 4.–4. 5., www.hkw.de