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Archiv-Artikel

GUTE MANIEREN Im Hausflur grüßen

Andere pissen in den Flur und klauen unsere Post

Vor einigen Wochen haben wir versucht, unseren WG-Balkon zu begrünen. Zu meiner Überraschung wächst da nun wirklich was. Für mich ist das ein kleines Wunder. Ich habe das letzte Mal Saatgut gestreut, da war ich im Grundschulalter. Aber siehe da – auch 20 Jahre später ist bei Mutter Natur noch alles beim Alten.

Ich wünsche mir ja, dass die ganzen Kräuter und Blumen so hoch wachsen, dass die U1, die am Balkon vorbeirattert, nicht mehr zu sehen ist. Oder besser gesagt, ich nicht mehr zu sehen bin. Ein Balkon ist doch private Zone – man beobachtet zwar andere Leute, kommt aber irgendwie nicht auf die Idee, dass man dabei gesehen wird. Mir ist das erst letzte Woche bewusst geworden. Ich saß beim Mittagessen auf dem Balkon, hatte gerade den Mund voller Salat, als ich unseren Balkonnachbarn entdeckte. Ungewollter Augenkontakt. Ich habe versucht, mit einem ungelenken Kopfnicken zu grüßen, vor allem wollte ich verstecken, dass ich mich aus unerfindlichen Gründen ertappt fühle. Er nickte zurück, war von der Situation aber offenbar ebenfalls überfordert. Ich hatte ihn noch nie zuvor gesehen. Aber er wohnt auch im Haus nebenan, also ist das okay.

Die Menschen im eigenen Haus hingegen muss man kennen, finde ich. Ich wohne noch nicht lange da, aber ich erkenne meine Nachbarn, und wir grüßen uns. Das gehört sich auch so. Menschen, die im Hausflur nicht grüßen, sind bei mir unten durch. In den Stockwerken über uns gibt es noch drei andere WGs, vielleicht sind es auch vier. Ihre Bewohner wirken im Vorbeigehen alle sehr sympathisch.

Die einzigen Menschen, die ich im Hausflur morgens sonst noch regelmäßig treffe, sind Patienten, die sich in der Arztpraxis im ersten Stock ihr Methadon abholen. Einige grüßen und sind sehr nett. Andere pissen in den Flur und klauen unsere Post. Die grüß ich dann nicht mehr, Manieren hin oder her. SASKIA HÖDL