Vergiss die Prämien!

MOTIVATION Daniel H. Pink plädiert in „Drive“ dafür, selbstbestimmte Arbeit zu fördern, und schwärmt von Zuckerbrot statt Peitsche

VON KATHARINA GRANZIN

Leider haben die meisten Manager keine Zeit zum Lesen. Sicher wäre die Welt ein besserer Ort, wenn alle Führungskräfte der kapitalistischen Sphäre die Erkenntnisse verinnerlicht hätten, die Al Gores ehemaliger Redenschreiber Daniel H. Pink in seinem Buch „Drive“ so knackig zusammengefasst hat: Der arbeitende Mensch braucht Selbstbestimmung, Eigenverantwortlichkeit, Sinnstiftung und ist motivierter und arbeitet effizienter, wenn seine Tätigkeit ergebnisorientiert ausgerichtet ist und nicht stupide nach Zeiteinheiten gewertet wird. Klar. Sind doch Binsenweisheiten, möchte man denken; doch die traurige Wahrheit ist, dass die Binse mit der Realität fast nichts zu tun hat.

Immer noch regiert in den Unternehmen mit Zuckerbrot und Peitsche – Prämien und Zeiterfassungssystemen – ein primitives Sanktionssystem, das motivierende und kontrollierende Funktion haben soll, jedoch Kreativität tötet und außergewöhnliche Leistungen nicht fördert, sondern verhindert. Pink stellt eine eindrucksvolle Reihe von Studien über Kleinkinder, Erwachsene oder Schimpansen vor, die alle zu demselben Ergebnis kommen: In Aussicht gestellte Belohnungen führen nicht zu mehr, sondern zu weniger Leistung. Probanden, denen keine Belohnung versprochen wurde, lösen Aufgaben, die eigenständiges Denken erfordern, deutlich besser als jene, die eine Belohnung erwarten. Die ausgesetzte Prämie verengt den Fokus der Zielsetzung.

Pink nennt das Zuckerbrot-und-Peitsche-System „Motivation 2.0“. Für Routinetätigkeiten, die kein Mitdenken verlangen, kann ein Belohnungssystem zwar leistungssteigernd wirken, für kreative Tätigkeiten aber, die im 21. Jahrhundert den deutlich größeren Teil der Arbeit ausmachen, brauche man neue Formen der Motivation: „Motivation 3.0“.

Post-it in der Freizeit

Pink nennt gelungene und gelingende Beispiele aus dem wirklichen Leben. Das australische Softwareunternehmen Atlassian etwa, in dem alle Mitarbeiter einen kleinen Teil ihrer Arbeitszeit auf Projekte verwenden, die nichts mit ihrem eigentlichen Aufgabenbereich zu tun haben. Oder der amerikanische Bürobedarfsriese 3M, bei dem den Mitarbeitern sogar 20 Prozent der Arbeitszeit für frei gewählte Projekte zur Verfügung stehen. In seiner 20-Prozent-Zeit erfand ein 3M-Mitarbeiter die gelben Post-it-Aufkleber – eine bahnbrechende Innovation, mit der das Unternehmen die Welt überschwemmte.

Die Botschaft an die Führungskräfte unter den Lesern ist einleuchtend: Vergiss die Prämien! Vergiss auch die Quartalszahlen und denke langfristig. Bezahl deine Leute von vornherein überdurchschnittlich und gib ihnen mehr Freiheit, und sie werden dir mehr Nutzen bringen. Das ist ein so systemkonformer wie sympathischer Ansatz. Doch Pinks Buch richtet sich nicht nur an die Managerkaste – für die gibt es am Schluss eine Zusammenfassung –, sondern an uns alle. Denn der freier arbeitende Mensch wird nicht durch Chefs motiviert, sondern motiviert sich eigenständig. Das aber bedeutet: Arbeit an sich selbst.

Hier, im letzten Drittel des Buchs, legt Pink offen, worum es eigentlich geht und was wir, wenn wir ihm folgen wollen, alle anstreben sollten: die unablässige Selbstmotivation zur kontinuierlichen Leistungsoptimierung. Da kann man sich durchaus ein wenig überrumpelt fühlen.

Zum Wohle der Wirtschaft

Gerade noch hat der Autor erklärt, was ein „Flow“ ist – jener optimale neurobiologische Zustand, in dem das Glückshormon Dopamin nur so fließt und den wir erreichen, wenn wir ganz in unserer Arbeit aufgehen –, um dann wie selbstverständlich zu ergänzen, ein häufiger „Flow“ sei zur Perfektionierung unverzichtbar. Im Folgenden ist ausdauernd von Perfektion als Motivation die Rede, von Leistungssportlern, Weltklassemusikern und Spitzenmanagern. Oh! Was? War das des Pudels Kern?, denkt man da aufgeschreckt, nicht wenig vor den Kopf gestoßen. Perfektionieren soll ich mich also. Soll mich auf jeden Fall, sagt Pink, jeden Abend vor dem Schlafengehen fragen „War ich heute besser als gestern?“ Die spinnen doch, die Amis!

Wirklich zu schade, dass Pink, nachdem man ihm gern gefolgt ist in seiner locker unakademischen Darstellung volkswirtschaftlicher, psychologischer und biologischer Erkenntnisse, diese münden lässt in einen so plumpen Aufruf zum immer besseren Funktionieren zum Wohle der Volkswirtschaft. Dabei wollen wir im Grunde das Gleiche: Wir wollen den Flow bei der Arbeit! Aber zum Wohl der Menschheit und unserer selbst und nicht, damit wir immer effizientere Leistungsträger werden. Wozu sollte das auch gut sein? Der Post-it-Aufkleber ist doch schon erfunden.

Daniel H. Pink: „Drive. Was Sie wirklich motiviert“. Aus dem Englischen von Birgit Haim. Ecowin, Salzburg 2010, 240 S., 21,90 Euro