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Archiv-Artikel

„Fließende Übergänge“

LESUNG Jörg Isermeyers Kinderroman „Alles andere als normal“ handelt von Armut und Loyalität

Jörg Isermeyer

■ 45, lebt als Theatermacher und Musiker in Bremen. Die Bühnenvorlage seines Kinderromans wurde 2010 am Grips-Theater uraufgeführt.

taz: Herr Isermeyer, mit „Alles andere als normal“ haben Sie ein Buch über Kinderarmut geschrieben. Welche Rolle spielt Star Wars darin?

Jörg Isermeyer: Die eine der beiden Hauptfiguren, Lukas, hat erst mal nichts, wofür er wirklich brennt, und füllt diese Leere durch die Identifizierung mit den Star Wars-Helden. Zugleich bewegt er sich damit in einer Welt, in der es fließende Übergänge zwischen Gut und Böse gibt. Anakin Skywalker lässt sich zur dunklen Seite der Macht hinüber ziehen und kämpft später als Darth Wader gegen seinen Sohn, der wiederum trotz allem an das Gute in seinem Vater glaubt ...

In Ihrem Buch wird die Durchmischung von Gut und Böse durch konkrete soziale Bedingungen hergestellt: Lukas’ neue Freundin Jule hat einen Bruder, der Räder klaut, weil die Familie arm ist.

Solche Verhältnisse kenne ich ausgiebig durch Theaterprojekte im Jugendknast. Für Jule ergibt sich daraus ein dramatischer Loyalitätskonflikt: Muss sie ihren Bruder verpfeifen – der der einzige in ihrer Familie ist, der sie gelegentlich unterstützt? Bei Kinderarmut geht es ja nicht nur um materielle Armut, sondern auch um die Frage, wie viel Zeit können Eltern mit ihren Kindern verbringen, und haben sie noch eine Selbstachtung, die sie ihren Kindern weitergeben können.

Die Bühnenfassung, die Ihrem Roman zu Grunde liegt, erhielt den Berliner Kindertheaterpreis und wurde für den Mülheimer Kinderstückepreis nominiert. Warum wollten Sie noch ein Buch daraus machen?

Weil ich mit der Bühnenfassung letztlich unzufrieden war. Der Regisseur hatte eigenmächtig alles zu einem heilen Welt-Ende hingebogen. Und mir war die Geschichte mittlerweile so wichtig geworden, dass ich sie in meinem Sinne zu Ende erzählen wollte.

Am Schluss Ihres Buches sind jetzt die akuten Probleme der Protagonisten zwar gelöst, aber die strukturellen bleiben bestehen. Das ist realistisch. Aber ist das gerade deswegen nicht auch sehr alltäglich?

Man kann es eben heute nicht mehr so machen wie Erich Kästner mit „Pünktchen und Anton“. Diese beiden entwickeln trotz ihrer sehr unterschiedlichen sozialen Schichten ebenfalls eine Freundschaft, und das finanzielle Problem „löst“ sich so, dass Antons Mutter Hausangestellte bei Pünktchens Familie wird. Mir hingegen ist wichtig, dass Lukas und Jule eine tragfähige Beziehung entwickeln, in der sie sich gegenseitig unterstützen – obwohl die Welt so ist, wie sie ist.

Interview: HENNING BLEYL

Buchpremiere: 12 Uhr, Paradox, Bernhardstraße 10 - 12