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Archiv-Artikel

Die nackten Kanonen

Ein deutscher Soldat fotografiert in Afghanistan seinen Penis an einem Totenschädel. Und ganz Deutschland ist „schockiert“ über die „skandalösen“ Aufnahmen. Aber worin besteht der Schock?

VON SUSANNE LANG

Wieder einmal sind es Fotos aus einem Kriegsgebiet, die eine westliche Gesellschaft „schockieren“. Wieder einmal sind es Momentaufnahmen von der virtuellen Front, an der Demokratien gegen terroristische, fundamentalistische Gruppierungen kämpfen – oder ihre „Werte“ verteidigen, wie es ja insbesondere für die deutsche Bundeswehr am Hindukusch im offiziellen Sprachgebrauch heißen muss.

Seit dieser Kampf geführt wird, erschüttern jene Bilder regelmäßig die Öffentlichkeit, nicht nur im Westen. Es sind Dokumente von Folter und Erniedrigung des vermeintlichen Gegners, ausgeführt von den zivilisierten „good guys“ im Dienste der Freiheit gegen die vermeintlich archaischen, prämodernen „bad guys“ – Dokumente also, die doch nur belegen, dass die Errungenschaft namens Zivilisation eine sehr fragile ist. Die rituelle Verurteilung der Taten, die Individuen zugeschrieben wird, und die Forderungen nach rigoroser Aufklärung bleiben als vordergründige Indizien dafür, dass das freiheitliche Rechtssystem immerhin seine Selbstreinigungskräfte behalten hat.

Flankierend dazu berufen sich die KritikerInnen immer wieder auf Kulturtheoretiker wie Walter Benjamin und Roland Barthes und ihre Stichworte vom „Schock“-Moment der Fotografie, um die systemimmanente Kraft der kritischen Selbstreflexion zu untermauern. Gerade im aktuellen Bilderfundus, die Deutschland über den Bild-Boulevard seit gestern erschüttern, lohnt sich jedoch ein genauer Blick auf den vermeintlichen „Schock“, den die Fotos deutscher Soldaten in Afghanistan transportieren. Was ist zu sehen? Welche „Schande“ versetzt PolitikerInnen aller Parteien und die Führungsebene der Bundeswehr in „Empörung“ und „Abscheu“?

Zentrales Objekt der Erniedrigung ist ein Totenschädel, dessen Herkunft völlig unklar ist (eventuell handelt es sich um die sterblichen Reste eines russischen Soldaten aus der Besatzungszeit). Bei den Tätern handelt es sich um deutsche Soldaten des Afghanistan-Kontingents (Isaf), die den Schädel wahlweise als Trophäe auf einem Kabeldurchtrenner an ihrem Jeep „Wolf“ aufspießen oder mit der einen Hand an einen von der anderen Hand gehaltenen, aus der Hose ausgepackten Penis halten. „Bittere Tage für die Bundeswehr“, kommentierte die Zeitung Bild die Botschaft dieser Bilder mit der üblichen Bigotterie.

Während US-amerikanische oder britische Soldaten mit Folterbildern in die Schlagzeilen gerieten, also lebende Gefangene qua Potenz ihres Mandats und ihrer Funktion als stärkere Kampfmaschinen malträtierten, vergehen sich die „Staatsbürger in Uniform“ auf ihrem humanitären Einsatz an einem Schädel, einem ikonografischen Symbol für den Tod, den es einerseits zu besiegen gilt (wenn es um das eigene Leben geht), den es andererseits zu verhindern gilt (wenn es um den Schutz der Bevölkerung geht) – den es aber keinesfalls qua Mandat zu verursachen gilt. Vor dem Mann in jedem Fall aber Angst hat.

Die deutschen Soldaten präsentieren sich der weltweiten Öffentlichkeit lediglich als das, was sie in der ganz realen Welt in Afghanistan darstellen: schlecht ausgerüstete, ohnmächtige, ängstliche Männer, die in einem letzten Rest von Selbstbestätigung die Eier dazu haben, einem Totenschädel zu zeigen, was ein Soldat ist. Eine „Schande“ für ein System wie das Militär, das seine Soldaten mit überpotenter Männlichkeit zu willigen Befehlsausführern drillt. Auch wenn diese Befehle in eine humanitäre Mission gebettet sind.

„Solche Leute können wir in unserer Armee nicht brauchen“, findet prompt der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Bernhard Gertz – als ginge es allen Ernstes in Armeen um individuelle Verantwortlichkeiten für das eigene Tun, als seien tatsächlich „Staatsbürger in Uniform“ am Hindukusch. Von jener Vision hat sich der Bundestag spätestens mit seinem Ja zum Einsatz außerhalb der Landesgrenzen verabschiedet. Wer Deutschland und seine Werte am Hindukusch verteidigt, brachte zuletzt Verteidigungsminister Franz Josef Jung auf einer Tagung in Potsdam vor Militärhistorikern auf den Punkt: Soldaten, die im Kern ihres Selbstverständnisses Kämpfer seien.

Die privaten Fotos jener deutschen Soldaten, die nun in der Öffentlichkeit stehen, zeigen etwas anderes: Überforderte mit Überlebenswillen, die wahrscheinlich nichts dagegen hätten, zu Hause ihren Penis auszupacken. Wie gerufen kommt da die Nachricht, dass gestern erst das Bundeskabinett eine Verlängerung der Operation„Enduring Freedom“ beschlossen hat. Dabei haben die Bundeswehr und ihre überforderten Soldaten etwas anderes viel nötiger: Hilfe.