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Archiv-Artikel

Mit Tieren und Geistern reden

TANZ Die Afrika-Bielefeld-Connection: Mit einer eigenen Schule und dem Festival „Biennale Passages“ sorgt der Choreograf Tchekpo Dan Agbetou für die Sichtbarkeit des afrikanischen Tanzes in Deutschland

„… on the way“ von Tchekpo Dan Agbetou ist ein düsteres Stück, das aus der Begegnung mit Kriegs- und Folteropfern hervorging, voll traumatisierter Lebensgier und einem Schimmer jener Hoffnung, dass selbst aus Leid noch Stärke und Ruhe entstehen können

VON RENATE KLETT

Er heißt Tchekpo Dan Agbetou, ist Choreograf, Tänzer und Dozent, 48 Jahre alt und stammt aus Benin, Westafrika. In Bielefeld leitet er ein privates Tanzhaus für Laien und Profis. Aber bis dahin war es ein langer Weg.

Schon als Kind läuft er den Revenants, den tanzenden Geistern Verstorbener, in ihren prächtigen Kostümen hinterher, wenn sie in sein Dorf in Benin kommen, tanzt heimlich zum Rhythmus ihrer Trommeln. Seine Tante wird ihn dafür bestrafen, das weiß er und tut es trotzdem, muss es tun, immer wieder. Und alle Schläge nützen gar nichts – das Glücksgefühl beim Tanzen ist einfach zu schön. Mit zwölf Jahren holt ihn sein Vater zu sich in die Pariser Banlieue. Dort lernt er den Breakdance kennen, spielt Fußball und schwänzt die Schule, wo man nur rumsitzen und nichts mit dem Körper machen kann. Mit siebzehn beginnt er, Tanz zu studieren, zuerst in Paris und Angers, später in New York. Ohne Geld, doch mit brennendem Interesse, stürzt er sich auf die unterschiedlichsten Tanzformen, paukt Ballett, Modern, Contemporary, African. Seinen größten Wunsch, den Kurs bei der Alvin Ailey Company, der berühmtesten Black Dance Company von New York, zu besuchen, erfüllt ihm deren Direktorin Judith Jamison herself: Er darf umsonst teilnehmen gegen Aushilfsarbeiten im Büro der Kompanie.

Als er nach Angers zurückkehrt, eröffnet er gemeinsam mit der Tänzerin Ursula Falke, seiner späteren Frau, die erste Tanzschule. Nach fünf Jahren sind sie pleite. Sie ziehen mit zwei Kindern nach Bielefeld, wo sie seit nunmehr fünfzehn Jahren wohnen und ihren Lebenstraum verwirklichen konnten: ein privates Tanzhaus für Unterricht und Aufführungen, Laien und Profis, einen Ort der Künste und der Kommunikationen, offen für alle und immer voll Leben. DansArt Tanznetworks besteht aus einem Theatersaal, einer Cafeteria, vier großen Tanzstudios und mehreren Gästewohnungen, Familie Agbetou wohnt oben drüber, und wann immer etwas frei wird im Gebäude, mieten sie es dazu.

Denn aus dem Tanzhaus ist inzwischen eine staatlich anerkannte Dance Academy geworden, „weltberühmt in Bielefeld“ und hochgeschätzt von seinen Bewohnern.

Hier bringt die Tchekpo Dance Company ihre Aufführungen heraus, deren bekannteste die Solotrilogie „L’envol du vent“ ist, die Agbetou für sich selbst choreografiert. Den ersten Teil entwickelte er als junger Mann, den zweiten tanzt er derzeit auf vielen internationalen Festivals und mit dem dritten will er, „wenn ich 50 bin“, die Wurzel aus den beiden ziehen. Im Flug des Windes wird der Tänzer zu Mann, Frau, Kind, Vogel, Narr und Greis. Er spricht mit Pflanzen, Tieren und Geistern, zeigt die Welt und das Leben so überirdisch erdenschwer, waghalsig und spirituell, so voller Glorie und Klage, wie es vielleicht nur ein Afrikaner zeigen kann.

Auch in seinem Trio „… on the way“, mit dem er soeben die Biennale Passages, ein von ihm organisiertes Festival, eröffnete, verarbeitet Agbetou persönliche Erfahrungen und Eindrücke. Er ist in letzter Zeit in vielen Krisengebieten gewesen, vom Tschad bis Palästina, und hat seine Begegnungen mit Kriegs- und Folteropfern zur Grundlage dieses eindrucksvollen Stücks gemacht. Auf der dunklen Bühne gibt es drei Inseln aus Licht, in denen Michel Kouakou, Ahmed Khemis und Mamadou Diabaté eine Art ritualisierter Wutangst durchleben. Mit großen Sprüngen, ausgreifenden Arm- und Schleuderbewegungen und mit geballter Körperlichkeit erobern sie allmählich den Raum. Es ist ein düsteres Stück mit großartigen Tänzern, sehr sensibel und atmosphärisch, voll traumatisierter Lebensgier und einem Schimmer jener Hoffnung, dass selbst aus Leid noch Stärke und Ruhe entstehen können.

Dies ist die dritte Ausgabe der Biennale, ein viertägiges Festival des jungen afrikanischen Tanzes, mit Aufführungen, Workshops, Diskussionen, Konzerten und Ausstellungen. Die acht Tanzstücke des Festivals kommen aus Benin, der Elfenbeinküste, Mosambik, Tunesien, den USA, Deutschland und Ghana. Dass nicht jeder gute Tänzer auch ein guter Choreograf ist, beweist sich an einigen Soli, die eher als Showcase denn als Stück funktionieren. Aber es geht auch anders. Etwa bei Asha Thomas, langjährige Solistin der Alvin Ailey Company, die in „My Little Black Pina“ ihre Begeisterung für den Flamenco thematisiert. Zu Bessie-Smith-Blues, Gospel und historischen Flamencoplatten erfindet sie die Asha-Version des andalusischen Tanzes, mal im Sitzen, mal zeitgenössisch dekonstruiert und immer spannend. Dieses erste Tryout einer geplanten Langversion ist äußerst vielversprechend.

Oder auch „Kawa“ von Aicha M’Barek und Hafiz Dhaou aus Tunesien. Zu Beginn scheppert sich Dhaou geräuschvoll unter hunderten von Kaffeetassen hervor wie aus dem Bett und beginnt seinen Tagesablauf mit wilden Drehungen. Zur markanten Stimme des palästinensischen Nationaldichters Mahmoud Darwich, dessen Lobpreisung des Kaffees zum dramaturgischen Angelpunkt wird, zeigt er normalverrückte Alltagsstimmungen zwischen Einsamkeit und Schaffensrausch. Halb Derwisch, halb Kämpfer, ist er ununterbrochen in Bewegung, bis ihn köstlicher Kaffeeduft und praller Bühnennebel verschlucken. Ein Kabinettstück zum Weiterempfehlen!