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Archiv-Artikel

Berliner Schnauze auf und durch?

Jetzt erst recht, sagt Klaus Wowereit: Wenn keiner hilft, muss Berlin aus eigener Kraft der Misere entkommen. Denn nach dem Karlsruher Haushaltsurteil kriegt die Stadt keinen Cent extra. Aber bringt uns der trotzige Tonfall des Regierenden weiter?

Ja, sagt RICHARD ROTHER

Klaus Wowereit bringt Stimmungen auf den Punkt: „Berlin ist arm, aber sexy“ ist ein solcher Spruch. Als Reaktion auf das Karlsruher Urteil, das die Berliner Politik auf Jahrzehnte knebelt, sagt Wowereit: „Was uns nicht weiterhilft, ist ein radikaler Kürzungs-Masochismus nach dem Motto: Jetzt aber ran, koste es, was es wolle – und sei es das Leben.“ Richtig so. Wer nichts mehr geschenkt kriegt – die Mittel aus dem Länderfinanzausgleich stehen Berlin zu –, ist niemandem zu Dank verpflichtet. Und kann sich auf sich besinnen – ein selbstbewusstes „Jetzt erst recht“ schadet dabei nicht.

Selbst wenn Berlin alles täte, was die Richter an Sparvorschlägen anregten – der Schuldenfalle entkäme es nicht. Es würde auch dann von den anderen weder geliebt noch beschenkt. Erntet Berlin heute noch Ablehnung und Bewunderung, schlügen diese Gefühle in Hass um – sichtbares Elend mag keiner.

Berlin muss sich nicht verstecken. Keine andere Stadt in Europa ist so anziehend für junge, kreative Menschen. Angesichts der demografischen Lage gilt: Der Jugend gehört die Zukunft. Auch darum wird diese Stadt beneidet.

Karlsruhe stößt Berlin jetzt in einen knallharten föderalen Wettbewerb. In dieser Situation zu sparen – von der Verwaltung der Verwaltung abgesehen – hieße, sich zu schwächen. Wegen der Kultur und der Wissenschaft, wegen der Internationalität und der Toleranz ist Berlin so beliebt – die Stadt muss diese Stärken ausbauen und die industrielle Substanz erhalten. Das kostet Geld, aber es ist gut angelegt. Nur durch die Steigerung der Wirtschaftskraft lässt sich die Haushaltsmisere langfristig meistern.

Noch gehen zu viele, die in Berlin studiert haben, weg – nach Freiburg, München, Düsseldorf. Freiwillig zieht kaum jemand um, das Argument ist die Jobperspektive. Die muss sich verbessern: Die Hauptstadt sollte politiknahe Unternehmen und Verbände anwerben, Bundesverwaltungen und Medienfirmen sowieso. Die Stadt hat nicht viel – aber ein kreatives Image. Sie sollte es nutzen.

Nein, sagt MATTHIAS LOHRE

Ausgerechnet Klaus Wowereit beschwört Berlins verstaubte Frontstadt-Mentalität. Ausgerechnet der Regierende Bürgermeister, der sich viel dafür zugutehält, seit 2001 das sympathische Gesicht Berlins in Deutschland und der Welt zu sein: weltoffen, gelassen, zuversichtlich. Doch jetzt hat Wowereit seine Regierungserklärung „Jetzt erst recht: Berlin muss es alleine schaffen“ betitelt, und derart trotzig-beleidigt klingt die gesamte Rede. Eine Ansammlung wüster Vorwürfe in Richtung Bundesverfassungsgericht, Länder und Bundesregierung. Sie alle sollen gefälligst solidarisch sein mit der armen, von der Geschichte gebeutelten Hauptstadt. An der Forderung ist fast jedes Wort falsch.

Berlins Landeshaushalt umfasst 20 Milliarden Euro. Insgesamt 5,3 Milliarden davon zahlen Bund und Länder: per Länderfinanzausgleich, Bundesergänzungszuweisungen und Solidarpakt-Gelder. Ist das unsolidarisch? Sicher: Berlin ist pleite, und Haushaltshilfen hätten der Stadt auf die Beine geholfen. Doch die Katastrophe ist nun mal geschehen. Berlin bekommt keinen Cent. Auch Trotz und Vorwürfe werden Berlin keinen Cent einbringen. Im Gegenteil: Welches Bundesland, welches Bundesregierungsmitglied reicht seine Hand zur Hilfe, wenn die andere Seite mosert: „Wurd’ aber auch ma’ Zeit“?

Skandalös ist nicht das Urteil der Karlsruher Richter, so umstritten es auch ist. Skandalös ist, dass der Senat sich seit der Klageeinreichung vor drei Jahren offenbar nicht gefragt hat: Was, wenn wir verlieren? Eilig sparen SPD und Linkspartei nun ein paar unstrittige Haushaltsposten. Das ist zu wenig, und es ist kopflos.

Der Senat muss die Kraft finden, seine Ratlosigkeit zur Chance zu wenden: Er braucht Beistand von sozialen Initiativen und Universitäten, er muss Modelle anderer Städte prüfen, kurz: Rot-Rot muss Ideen importieren. Und Abschied nehmen von alten Steckenpferden. Tut der Senat dies nicht, zeigt er sich unsolidarisch – mit allen BerlinerInnen.