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Archiv-Artikel

Den Komposthaufen ins Foyer!

GUERILLA GARDENING Im Hebbel am Ufer kommen beim „Zellen“-Festival zehn Tage lang Saatgutgewinnung, Biopolitik und Salatherzen zusammen

Pflanzen machen auch mal Quatsch. Dann produzieren sie beispielsweise ohne erkennbaren Grund mehr Zucker, als sie selbst verbrauchen können. Solche Spielereien ohne erkennbare evolutionäre Logik kommen vor in der Pflanzenwelt. Und auf solche Ungereimtheiten will das derzeit stattfindende „Zellenfestival“ im HAU 1 hinweisen. Man kann von diesem Quatsch vielleicht lernen und Bezüge zum Leben der Nachbarschaftsgärtner, der Gender-Studies-Dozentinnen oder der Börsenhändler herstellen.

Unter dem Titel „Zellen – Life Science – Urban Farming“ veranstaltet das Hebbel-Theater zehn Tage lang und noch bis zum 21. November verschiedene Performances, Hörspiele, Vorträge, Theaterstücke und Diskussionsrunden. Kuratiert wird das Ganze von Stefanie Wenner. Von ihr stammt auch die Idee, das Jugendstil-Theaterhaus in der Stresemannstraße in einen Garten zu verwandeln. Im Foyer liegt seitdem ein Komposthaufen, vor der Bar im ersten Stock werden Pilzkulturen gezüchtet. Dort, wo vorher Bühne und Parkett waren, gedeihen nun Rettiche, Salate, Mangold oder Thymian. Der Amaranth wächst fast bis in den ersten Rang. Hier ist ein „mobiler Garten“ eingezogen und die Initiatoren der „Prinzessinnengärten“, Marco Clausen und Robert Shaw, haben darauf bestanden, dass man den Garten während des Festivals meist ohne Eintritt besuchen kann.

Philosophie im Garten

In diesem sehr ordentlichen Garten stellte Christina von Braun von der Humboldt-Universität ihren Entwurf für eine zeitgemäße „Philosophie des Geldes“ vor. Sie wies auf die vielen „Biologisierungen“ hin, an die wir uns beim Reden über Geld schon gewöhnt haben: solange die „Kapitalströme“ zirkulieren, verspricht der Markt ewiges „Wachstum“, und Währungshüter kümmern sich, Gärtnern gleich, um ein „Aufblühen“ der Investitionen. Die Biopolitik rund ums Geld geht allerdings noch weiter. Zeitgleich mit der Entwicklung hin zu einer freien Marktwirtschaft habe auch die Liberalisierung der Sexualität stattgefunden. Von Braun knüpfte daran ihre Frage, ob Profitstreben und sexuelle Triebe nicht viel enger zusammengehörten, als man das gewöhnlich annehmen würde.

Zu hinterfragen, „wie mit dem Bezug auf Natur Evidenzen hergestellt werden sollen“, sieht Stefanie Wenner vom HAU als ein wesentliches Ziel des Festivals. Allerdings ist auch die Kunstsphäre nicht frei von falschen Naturvorstellungen. Besonders zeigte sich das in der Diskussionsrunde zum „Wilden Gärtnern“. Aus der potenziell lustigen Idee, einen Max-Planck-Zellbiologen, einen Guerilla-Gärtner und zwei Nachbarschaftsgärtner miteinander reden zu lassen, wurde ein ziemlich konfliktloses Nebeneinander. Nein, Guerilla- Gardening wird auch in Zukunft nicht kommunale Aufgaben eines sich zurückziehenden Staates übernehmen. Ja, Nachbarschaftsgärten könnten ein Teil von Gentrifizierung sein, wenn man nicht aufpasst. Nein, die Prinzessinnengärten sind keine barocke Erziehungsanstalt, wie es manche Gärten ganz früher einmal waren.

Der Titel des Festivals („Zellen – Life Science – Urban Farming“) lässt viel Platz für interessante Veranstaltungen. Eine gewisse Beliebigkeit ist dabei allerdings kaum zu vermeiden. Es gab beispielsweise nichts zu Terrorzellen oder zu Todeszellen oder zur kleinsten Zelle der Gesellschaft. Die Kuratorin Stefanie Wenner wollte mit dem Festival „gegen die Logik des Theaters arbeiten“ und begreift „das Prinzip der Zelle als Anstoß zum Handeln“. Deshalb finden im ehrenwerten Raum des Theaters Workshops zum Ernten, Lagern, zur Saatgutgewinnung und zum Kochen statt. Dazwischen leuchten die Apfel-Logos der Kreativarbeiter, die sich zum „Co-Working“ mit Laptop treffen. Das „Zellen“-Festival hat eine Vielfalt verschiedener Menschen im HAU zusammengebracht – so wie in einem guten Garten verschiedene „Kulturen“ nebeneinander bestehen. Kulturinteressierte, Kinder und Nachbarn gärtnern noch bis kommenden Sonntag, dann ist Erntefest. CARSTEN JANKE

■ Der Garten des „Zellen“-Festivals steht im HAU 1. Die Veranstaltungen finden noch bis Sonntag in allen drei Häusern des HAU statt