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Archiv-Artikel

Öl und Gas wieder unter Staatskontrolle

In Bolivien unterzeichnen die ausländischen Konzerne Verträge, die sie zu Dienstleistern des Staats degradieren

PORTO ALEGRE taz ■ Bolivien kontrolliert wieder seinen Energiesektor. Nach harten Verhandlungen willigten sämtliche in Bolivien tätigen Energiefirmen, darunter British Gas, die französische Total, die spanische Repsol und der brasilianische Staatsbetrieb Petrobras, fristgerecht in die Neuordnung des Energiesektors ein. Das bolivianische Staatsunternehmen YPFB kontrolliert damit wieder die Erdgas- und Erdölreserven des Landes. Die Unterzeichnung der Verträge fand am Wochenende in demselben Raum statt, in dem der neoliberale Präsident Sánchez de Lozada 1997 die Privatisierung des Sektors erlassen hatte.

„Mission erfüllt“, sagte Boliviens amtierender Staatspräsident Evo Morales. Er hatte vor sechs Monaten die Renationalisierung des Sektors angekündigt. Nach den jetzt geschlossenen Verträgen steigen die Förderabgaben für die Konzerne auf 60, für die großen Erdgasfelder sogar auf 82 Prozent.

Die jährlichen Staatseinnahmen würden nunmehr über 1 Milliarde US-Dollar betragen, sagte Morales, viermal so viel wie vor zwei Jahren. „Durch diese Verträge möchten wir die wirtschaftlichen Probleme des Landes lösen“, sagte der Staatschef, „wir setzen unsere Souveränität durch, ohne jemanden auszuweisen.“ Die Nationalisierung bezeichnete er als Akt „der Würde und des Stolzes“. Die Erdgas- und Erdölnationalisierung in Bolivien bedeutet keine völlige Verstaatlichung: Die Konzerne werden nicht enteignet, aber zu Dienstleistern des Staates.

Das größte Politikum stellen die Verhandlungen mit Petrobras dar. Der brasilianische Energieriese hatte bislang 46 Prozent der Reserven kontrolliert und muss YPFB auch demnächst eine Mehrheitsbeteiligung an seinen zwei Raffinerien einräumen. Die neuen Rahmenbedingungen garantierten die weitere Präsenz von Petrobras in Bolivien, sagte der brasilianische Energieminister Silas Rondeau in Brasília.

In Brasilien hatten konservative Politiker und zahlreiche Medien dem gestern wiedergewählten Präsidenten Lula vorgeworfen, er sei gegenüber dem Nachbarland zu nachgiebig. Auch wegen der Wahl hatte Petrobras öffentlich mit dem Rückzug aus Bolivien gedroht und zuletzt darauf gedrängt, die Unterzeichnung der Abkommen zu verschieben. Brasilien ist der wichtigste Abnehmer des bolivianischen Erdgases. Die bolivianische Regierung möchte in den kommenden Wochen eine spürbare Preiserhöhung aushandeln.

Die Verträge stellten die Rechtssicherheit für Investoren wieder her, sagte der spanische Außenstaatssekretär Bernardino León. In den kommenden Jahren will Repsol in Bolivien rund 1 Milliarde US-Dollar investieren. Bereits am Freitag hatte Total Neuinvestitionen in Höhe von 1,9 Millionen Dollar angekündigt. Petrobras hält sich hingegen noch zurück.

GERHARD DILGER