Annäherung an die Extreme

FOTOGRAFIE Gegensätze ziehen sich an – Alex MacLeans phänomenaler Bildband über Las Vegas und Venedig

VON BRIGITTE WERNEBURG

Der vorliegende Band verdankt sich einem Auftrag der Berliner Akademie der Künste. Die Kuratorin und Leiterin der Sektion Baukunst, Donata Valentin, hatte Alex MacLean gefragt, ob er sich vorstellen könne, die beiden Städte Venedig und Las Vegas für die Ausstellung „Wiederkehr der Landschaft“ zu fotografieren. Nach erstem Erstaunen über die Gegensätze, die hier zusammen gesehen werden sollten, konnte er sich das vorstellen. Und er konnte es sich so gut vorstellen, dass der zusätzlich zur Ausstellung entstandene, eigene Bildband vollkommen gerechtfertigt ist.

Statt der verschiedenen Aufsätze des Ausstellungskatalogs begleitet nun ein großer Essay des Hamburger Kunsthistorikers Wolfgang Kemp die Bilder MacLeans. Kemps Text informiert knapp und luzide über die künstlichen Umwelten der beiden im Wasser und in der Wüste gebauten künstlichen Städte. Wesentlicher kommt er noch auf das spezifische künstlerische Verfahren Alex Macleans zu sprechen, dem sich die durchweg gelungene, vergleichende Annäherung an die Extreme verdankt.

Venedig erfährt man vom Boot, Las Vegas vom Auto aus. Alex MacLean aber überfliegt die beiden Städte und ihre Umgebung. Dabei arbeitet er nicht aus der Kartierungs- und Planungsperspektive, also der senkrechten, sehr hohen Sicht. Vielmehr nimmt er seine Bilder aus dem Fenster heraus auf, was zu schrägen Ansichten führt, in denen der Horizont nur selten verloren geht. Die Horizontlinie aber markiert für uns, was oben und unten ist, sie lässt uns Distanzen abschätzen und kennzeichnet die natürliche Grenze unserer Wahrnehmung, kurz, sie bestimmt ganz wesentlich unsere Verortung in der Welt. Wo wir so schauen dürfen, da kommen wir ins Nachdenken.

Wir sehen dann das grid, das endlos ausdehnbare Straßennetz, und den sprawl, den uniform auslaufenden Siedlungsbrei, also die zwei bestimmenden Figuren der amerikanischen Urbanistik, die inmitten der Wüste Nevadas besonders absurd und deplatziert erscheinen, und wir begreifen – so geht das nicht. Die Probleme Venedigs sind aus der Luft nur schwer zu zeigen. Aber der Anblick eines nahe der Piazzale Roma angelandeten Kreuzfahrtschiffs, das sich so riesenhaft aufbläht, dass es scheint, ganz Venedig habe in ihm Platz, macht klar, dass sein Wasserweg in sie hinein der Stadt gefährlich werden muss.

Venedig droht zu ertrinken. „Die Wiesen“ dagegen, wie der spanische Name von Las Vegas lautet, drohen zu vertrocknen. Alex MacLeans vergleichende fotografische Bestandsaufnahme legt am Ende, wie Wolfgang Kemp meint, die Wette nahe, „welcher der beiden Markusplätze zuerst verschwindet, der in Venedig oder der in Las Vegas“.

Alex MacLean: „Las Vegas/Venedig. Fragile Mythen“. Schirmer/Mosel Verlag, München 2010, 192 Seiten, 155 Farbtafeln, 49,80 Euro