: Blickrichtung rückwärts
GEBURTSORT Utopischer Geist, störrischer Eigensinn, formal avantgardistisch, das alles aber in reaktionärer Absicht: Das Filmmuseum am Potsdamer Platz hat Hans-Jürgen Syberberg die Ausstellung „Projekt Nossendorf“ gewidmet
VON EKKEHARD KNOERER
Einst hat Hans-Jürgen Syberberg Adolf Hitler im nebligen Urgrund deutscher Mythengeschichte verortet. Heute vernetzt er auf www.syberberg.de das mecklenburg-vorpommerische Nossendorf mit sich und der Welt, und zwar ganz buchstäblich. Neben vielen Verweisen auf Syberbergs große Filme gibt es gleich auf der Startseite einen Link zu einem Live-Bild vom Berliner Schlossplatz. Dort harrt ein dem seinen ähnliches Wiederaufbauprojekt der „Vollendung“ (Syberberg), wie er das wohl sieht. Nur ein Webcam-Sprung ist es von Berlin nach Nossendorf und zurück: dazwischen Hans-Jürgen Syberberg als Weltkind in der Mitten. Am Potsdamer Platz, genauer im dort gelegenen Filmmuseum, ist Syberbergs Nossendorf-Projekt nun eine Ausstellung gewidmet.
Wikipedia verzeichnet im 785-Einwohner-Örtchen Nossendorf zwei Sehenswürdigkeiten: eine „frühgotische Backsteinkirche (Sockel Feldsteine)“ und „das Gutshaus Nossendorf, Geburtshaus von Hans-Jürgen Syberberg“. In diesem Gutshaus lebt Syberberg heute wieder und ist in Wahrheit daher höchstselbst die bedeutendste Sehenswürdigkeit der Gemeinde. Vor acht Jahren hat er das Haus der Kindheit zurückgekauft. Das Drama des Wiedererwerbs ist auf der Website nachlesbar.
Seither arbeitet der Filmemacher an der Restauration. Er scheut keine Mühen, die der Ebene nicht und nicht die der Ausblicke aufs Erhabene. Auf nicht weniger zielt sein Begehren, als die zwischen Kindheit und Alter liegende Geschichte von Gutshaus und Dorf wieder verschwinden zu machen. Für Syberberg ist es die Geschichte von Verfall, Kontamination, Plattenbau, DDR. Alles dokumentiert er auf seiner Website: das Schrifttum der Auseinandersetzung mit widerstrebenden Behörden, die fortschreitende Transformation von Gut und von Dorf. Wer sich in den labyrinthischen Unterseiten und Nebenzweigen dieser Website verliert, stößt auf kryptische Kritzeleien („wie Es [-nie-] war. und doch ist Es Das. So. gewesen“), Verweise auf tausenderlei Dinge, eine endlose Anzahl von Fotos aus „my little ugly N.“ und von anderswo, dann aber immer auch: „mythische Landschaften“ und „Blick ins östliche Peene-Ursprungstal“.
In einer „Gebrauchsanleitung“ entwirft Syberberg eine Art Manifest seiner Neue-Medien-Theorie. Es heißt da: „Die demokratische Zensur über die Besitzverhältnisse von Produktions- oder Vervielfältigungsmitteln oder das Interpretationsmonopol der Meinungen sind hier nicht wirksam. Jeder kann, unbeaufsichtigt, unkontrolliert dabei sein, sich einmengen. Ein alter Zustand der Natur von Freiheit ist wiederhergestellt oder möglich.“ Da steckt der ganze Syberberg drin. Verlässlich findet in seine großen Entwürfe innerer Widerspruch Eingang, das war schon in den Siebzigern so, als er den Neuen Deutschen Film auf den Kopf gestellt hat. Utopischer Geist, störrischer Eigensinn, formal avantgardistisch, das alles jedoch in Blickrichtung rückwärts und mit mythenmetzisch reaktionärer Absicht.
Die Ausstellung fängt nur kleinste Bruchstücke ein vom grandiosen Wirrsinn der Website: die ist und bleibt die eigentliche Schau.
Einander gegenüber gebeamt werden am Potsdamer Platz Ausschnitte aus zwei der eher berüchtigten Edith-Clever-Monologe, mit denen Syberberg in den Achtzigern von der avantgardistischen Mythenzerlegung ins Privatmythische abbog. Auch in „Die Nacht“ (von 1984/5) und „Ein Traum, was sonst“ (1991/4) figuriert Nossendorf schon als Ort mit Projektionen aufladbarer Vergangenheit. Daneben zeigt die Ausstellung in höchstmöglicher Gegenwärtigkeit die Livebilder von vier Webcams, mit denen Syberberg sein Gut zu Tag und zu Nacht der Welt präsentiert.
In einer kleinen Nische daneben sucht er auf alten Fotos die Nähe zu Heiner Müller, Francis Ford Coppola und Susan Sontag – Letztere hatte Syberbergs „Hitler“ einst als „das ehrgeizigste symbolische Kunstwerk unseres Jahrhunderts“ gepriesen. Diesen Ansprüchen ist in der Ausstellung nun das Modell des nach Syberbergs Willen unbedingt zu reinstallierenden Turms der Dorfkirche aufs Unmittelbarste benachbart. Per Paypal kann man auf www.syberberg.de spenden, größere Beiträge werden freundlich verzeichnet. Wenn etwas sehr Großes und etwas sehr Kleines einander auf Augenhöhe begegnen, ist der Effekt nicht selten ein komischer der unfreiwilligen Art.
■ Die Ausstellung läuft bis 8. Dezember und wird im Zeughaus-Kino durch eine Filmreihe begleitet, die auch Syberbergs klassische „Deutsche Trilogie“ umfasst