: Für Anarchie und Peinlichkeit
KINDER- UND JUGENDTHEATER Postdramatisch, basisdemokratisch und antipädagogisch: Das Performance-Duo Skart erzählt in „Lucky Strike“ das Märchen „Hans im Glück“ neu
VON HANNA KLIMPE
So empfänglich die acht Schüler der Rahlstedter Neuen Schule Hamburg für antikapitalistische Ideen auch sind, klare Grenzen gibt es doch: „Wenn man sich über Justin Bieber lustig macht, finden manche von denen das überhaupt nicht lustig“, haben Philipp Karau und Mark Schröppel vom Performance-Duo „Skart“ feststellen müssen. Aber auch Heiligtümer müssen zerstört werden: Eines der Kinder zwischen sieben und dreizehn Jahren wird in „Lucky Strike“ seine blutigen Fantasien an dem kanadischen Teenieschwarm ausleben. Der steht als Pappaufsteller auf der Bühne – zusammen mit einem Papp-SUV, einer Louis-Vuitton-Stellwand, einer überdimensionalen Veuve-Cliquot-Flasche und einer Hüpfburg.
In „Lucky Strike“ verarbeiten Skart das Märchen von Hans im Glück – als Allegorie der Verweigerungshaltung gegenüber dem Selbstoptimierungsdenken und dem Materialismus. „Lucky Strike“ ist die erste Arbeit, die im Rahmen der zweijährigen „Doppelpass“-Kooperation zwischen Skart und Kampnagel entstanden ist.
Deren Ziel ist die Entwicklung eines postdramatischen Kinder- und Jugendtheaterprofils, das aber alle Altersschichten ansprechen soll. Deswegen legte Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard den beiden auch nahe, keinen deutschen Kindermärchentitel zu wählen. „Wir haben ‚Hans im Glück‘ dann in schlechtes Englisch übersetzen wollen“, erklären Skart: „Da kam erst ‚Lucky John‘ bei raus, und daraus wurde irgendwie ‚Lucky Strike‘“.
Seit 2006 machen die Theaterwissenschafts-Absolventen der Universität Gießen – und ehemaligen WG-Mitbewohner – unter dem Namen „Schröppel Karau Art Repetition Technologies“ politische Anarcho-Performances irgendwo zwischen Dekonstruktion und Knallbonbon. Deren Ästhetik und basisdemokratischer Ansatz, erklären Skart, sei aus der Ablehnung der „gerne mal blöden, affektierten Exzentrik der Gießener Hipster-Off-Community“ entstanden: „Ziel unserer Performances ist immer auch, Coolness-Codes zu durchbrechen und die Leute dazu zu animieren, zu ihren Peinlichkeiten zu stehen.“
Mit „Der Fischer und sein Mann“, einer Gender-Version des Grimm’schen Märchens, haben Skart 2011 am Theater Duisburg zum ersten Mal eine Kinderperformance inszeniert. Im Staatstheater werde Kindertheater oft geringgeschätzt, haben Skart beobachtet, in der Off-Szene aber finde es seit der ‚Showcase Beat Le Mot‘-Inszenierung vom Räuber Hotzenplotz vor sieben Jahren zunehmend Anerkennung. „Anti-Pädagogik“ nennen Skart ihr Konzept, neben der anarchischen Komponente bedeute es, „soziale Interaktion zu reflektieren und bestehende Strukturen zu hinterfragen“.
Bei den jungen Teilnehmern ist die Idee eines postdramatischen, basisdemokratischen Theaters allerdings nicht sofort auf Begeisterung gestoßen: „Kinder sind nicht per se kleine Anarchisten“, vermuten Skart. „Die waren am Anfang nicht sehr angetan darüber, dass wir mit den üblichen Theaterkonventionen brechen.“ Auch das Gezanke darum, wer wann wie viel im Mittelpunkt stehen dürfe und wer welche Idee zuerst gehabt habe, sei zunächst noch groß gewesen. Irgendwann aber sei man dann an dem Punkt, an dem sie denken: „Ich bin stolz, wenn meine Idee performt wird, egal von wem.“
Schließlich sollen die Kinder entdecken, was für eine kreative Spielwiese der Theaterraum ist, sobald Ego und Ängste erst einmal fallengelassen werden: „Auf der Bühne können sie alles herauslassen, was sie für peinlich halten, aber gerne machen. Oder sie stellen fest, dass ihre Schwächen eigentlich nur Eigenarten sind, die sie auszeichnen und liebenswert machen“, erklären Skart. Im Idealfall kämen aus ihren Performances „reflektiertere, tolerantere und selbstbestimmtere Menschen heraus, egal welchen Alters“. Wenn angesichts so hehrer Ziele Justin Bieber draufgehen muss, was soll’s – ein bisschen Schwund ist immer.
■ Premiere: Donnerstag, 8. Mai, 10 Uhr, Kampnagel. Nächste Vorstellungen: 9.–11. Mai