: Es geht auch ohne weiblichen Beethoven
Am Freitag wurde an der Hochschule für Musik und Theater Hannover ein neues Forschungszentrum für Musik und Gender eröffnet – ein Pluspunkt für das norddeutsche Forschungscluster. Die Finanzierung ist über Drittmittel in Millionenhöhe für zehn Jahre gesichert
„Das finde ich wunderbar, dass uns jeder leicht finden kann!“, sagt Susanne Rode-Breymann und lächelt. Die Leiterin des neuen Forschungszentrums für Musik und Gender an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover hat bewusst darauf geachtet, dass ihr Institut nicht irgendwo eine Heimat findet, sondern mittendrin. Rode-Breymanns 170 Quadratmeter großes Forschungszentrum hat seine Räume in direkter Nachbarschaft zum Studierendensekretariat. Schließlich wollen die Gender-Expertin und ihr Team den künstlerischen Nachwuchs mit einbeziehen, wenn es darum geht, Ergebnisse der Forschungsarbeit zum Klingen zu bringen.
Geplant ist unter anderem eine Konzertreihe mit Werken von Komponistinnen aus Ost-Europa. Außerdem sollen auch die Komponistinnen aus Niedersachsen quer durch alle Jahrhunderte systematisch erfasst und katalogisiert werden, denn ein solches Verzeichnis existiert bislang noch nicht.
Rode-Breymann ist es wichtig, dass Gender-Forschung sich nicht nur Komponistinnen widmet. „Da taucht immer ganz schnell die leidige Frage auf: Ja, haben wir denn jemanden so Berühmten wie Beethoven?“ Die Musikwissenschaftsprofessorin hat deshalb eine Forschungsgruppe gegründet, die sich mit dem Thema „Orte kulturellen Handelns von Frauen in der Frühen Neuzeit“ befasst: Im Fokus stehen Orte wie „Die Stadt“ oder „Das Kloster“. „Uns interessiert: wie funktioniert Kultur? Wer ist kulturell daran beteiligt? Und das sind Musikerinnen, aber auch Zuhörerinnen, Lehrerinnen und Mäzeninnen. So werden Frauen in der Geschichte wieder sichtbar“, sagt Rode-Breymann
Einer Mäzenin verdankt auch das Forschungszentrum Musik und Gender seine Existenz: Die Mariann-Stegmann-Stiftung wird die Einrichtung in den kommenden zehn Jahren mit insgesamt 1,5 Millionen Euro finanzieren. Die Hochschule stellt einen Teil des Personals und die Räume. Durch die umfassende Förderung können so auch zwei weitere wissenschaftliche Mitarbeiterinnen ihre Projekte vorantreiben.
So hat Biographie-Forscherin Melanie Unseld eine Pilot-Studie konzipiert, die die Lebensläufe von heutigen Musikerinnen untersucht. Der Musikwissenschaftlerin ist aufgefallen, dass weibliche Karrieren im Musikbetrieb oftmals abbrechen. „Das erzählt uns etwa die Statistik der weiblichen Professoren oder die Statistik der Orchestermusiker. Da kommen die vielen Frauen, die wir hier unterrichten, prozentual nicht an“, sagt Unseld. Sie will wissen: „Wo bleiben die Frauen?“ Im Anschluss will sie für ihre Forschungsarbeit aber auch die Lebensläufe von männlichen Musikern unter die Lupe nehmen . Schließlich meint Gender-Forschung beide Geschlechter.
Das Hannoversche Forschungszentrum Musik und Gender ist Teil eines nordwestdeutschen Netzwerks: Auch an Hochschulen in Hamburg, Bremen und Oldenburg ebenso wie in Detmold und Köln ist musikwissenschaftliche Geschlechterforschung fest verankert. Ein lange belächelter Forschungszweig etabliert sich langsam.DAGMAR PENZLIN