: Thilo im Glück, Haushalt in Not
Weil Berlin keine Bundeshilfen bekommt, darf der Finanzsenator endlich die Grundsteuer erhöhen. Damit beschert er hunderttausenden BerlinerInnen steigende Mieten. Das Ziel des Schuldenabbaus spielt für den Senat keine Rolle mehr
Für den Finanzsenator werden Träume wahr. Als Thilo Sarrazin (SPD) gestern den Senatsbeschluss verkündete, Grund- und Grunderwerbssteuer anzuheben, geriet der knochentrockene Finanzler ins Schwärmen: „Wenn es das Urteil aus Karlsruhe nicht gäbe, dafür hätte man es erfinden müssen.“ Die Koalition hat die Steuererhöhung beschlossen, nachdem das Bundesverfassungsgericht Finanzhilfen des Bundes für das hochverschuldete Berlin ausgeschlossen hatte.
Sarrazins Idee – „ein lang gehegter Gedanke!“ – soll dem Haushalt 225 Millionen Euro im Jahr bringen. Die moderate Erhöhung zum 1. Januar 2007 werden die Hausbesitzer größtenteils auf Mieter umlegen. Nach Ansicht des Finanzsenators ist das vertretbar: „Die Mieterhöhungen sind minimal.“
Der Berliner Mieterverein sieht das anders. Die Mieten stiegen durch die Anhebung monatlich um vier Cent pro Quadratmeter, rechnet Vize-Geschäftsführer Reiner Wild vor – bei einer 100 Quadratmeter großen Wohnung sind das 40 Euro im Jahr. „Bei der Entscheidung fehlt das Augenmaß. Ab Januar steigt die Mehrwertsteuer, auch bei Wasser, Strom und Gas sind Aufschläge wahrscheinlich.“ Die Mieter müssten de facto mit Mehrausgaben zwischen 90 und 120 Euro im Jahr rechnen, so Wild.
Sarrazin hat natürlich eher den großen Haushalt im Blick. Und der entwickelt sich aufgrund steigender Überweisungen vom Bund – durch Mehrwertsteuereinnahmen und Länderfinanzausgleich – weniger dramatisch, als erwartet. Berlins Schulden, momentan rund 61 Milliarden Euro, stiegen im Jahr nur um 1,7 Prozent, sagt Sarrazin. Den Koalitionsvertrag sieht er in mildem Licht, obwohl Rot-Rot – von der Steuererhöhung abgesehen – nicht auf das Karlsruher Urteil reagiert. „Die Inhalte folgen dem Prinzip, dass Reformen kein Geld kosten dürfen. Das ist für mich positiv“, sagt Sarrazin. Nur die Armen könnten Probleme machen. Ein Haushaltsrisiko seien die Ausgaben für Hartz-IV-Betroffene, so der Finanzsenator. „Ein deutlicher Anstieg ist nicht eingerechnet.“
Das Zinsproblem bleibt ungelöst. Berlin müsse die nächsten Jahrzehnte 1,5 Milliarden Euro pro Jahr mehr an Zinsen bezahlen als ein vergleichbares Bundesland, sagt Sarrazin. Und gibt sich ansonsten philosophisch. „Man hat ja viele Ziele. Manche wollen mit dem Rauchen aufhören, manche wollen abnehmen – unser Ziel des Schuldenabbaus ist in weite Ferne gerückt.“
ULRICH SCHULTE