Rappen in der Knastkapelle

„In den Gesprächen können wir nie genau wissen, ob sie uns was vorspielen. Aber diese Texte, die sind echt“

AUS HERFORD MANFRED GÖTZKE

Von Gangsta-Rap halten die vier wenig. „Ich hasse es, wenn diese US-Rapper sich was auf ihre Knastzeit einbilden. Das ist keine Party hier“, sagt Mike. Seine Bandkollegen Sascha, Philipp und René nicken. Seit zwei Jahren rappen sie im Musikprojekt der JVA Herford und haben sich zu Vorzeigehäftlingen der Anstalt gemausert. Die Single-Auskopplung eines professionell aufgenommenen Albums steht in den Vitrinen des Knastshops.

Mike lässt seinen Stuhl nach hinten kippen, bis er gegen die Wand des Besucherzimmers stößt. In der dunkelblauen Sporthose und dem weiten T-Shirt, das er kaum ausfüllt, wirkt der 21-Jährige eher wie ein Abiturient. Doch Mike sitzt seit fast drei Jahren im Jugendknast. Auf die Frage, warum, antwortet er nur kurz: „schwerer Raub“, und lässt seinen Stuhl wieder zurück in die Senkrechte kippen.

Geprobt wird ein Mal die Woche nach der Arbeit, jeden Montagabend halb sechs. Während die meisten anderen Häftlinge Fußball spielen oder bodybuilden, gehen die „JVA Allstars“ zum Rappen in die Knastkapelle. Heute mussten sie ins Besucherzimmer umziehen, in der Kirche wird gerade Gitarre geübt. „Hier ist deine letzte, deine allerletzte Chance“, rapt Mike zu Elektrobeats. Im Refrain wiederholen dann alle vier: „Was du bist, das bestimmst du selbst; was du bist, das bestimmst du selbst; was du bist...“ Die Rückfallquote in der JVA Herford liegt bei 42 Prozent. „Immerhin die niedrigste in NRW“, sagt Friedhelm Sanker,der stellvertretende Anstaltsleiter.

Nach der Probe kommt der Herforder Musiker und Produzent Norbert Görder kurz rein und stimmt die Musiker auf den nahenden Samstag ein. Da ist Freigang für alle und die Band soll mit dem „Wolf“ ein bisschen jammen, vielleicht ein paar Tracks aufnehmen. „Das ist‘n Penner, der kann nichts“, sagt Mike. Der Wolf, ein Dortmunder HipHopper, hatte vor zehn Jahren das Stück „Gibts doch gar nicht“ in den deutschen Charts. Also entscheidet Görder: „Nein, der ist gut, und begeistert von euren Sachen.“ Norbert Görder kommt seit zwei Jahren ehrenamtlich zu den Proben. Die JVA-Leitung hatte ihn eigentlich geholt, um mit den Häftlingen Rockstücke einzustudieren. Görder arbeitet in der Rockakademie Ostwestfalen-Lippe in Herford, produziert Nachwuchsbands und organisiert Konzerte. „Die Jungs hier haben mir dann aber schnell klar gemacht, was sie wirklich interessiert“, so Görder: „Rap“.

„Seh‘ ich aus dem Fenster, sehe ich den Parkplatz von nebenan. Früher war‘s ein Bolzplatz für jedermann“, heißt es im Stück der JVA Allstars. Und anders als in dem Raptext kann es Mike auch schwer erklären, wie es zu den drei Jahren Jugendknast gekommen ist. „Vielleicht aus Langeweile“, sagt er und zuckt, wie um sich zu entschuldigen, mit den Schultern. Seine Eltern und Schulfreunde haben damals nichts mitgekriegt. Morgens ging es zur Berufsschule, nachmittags trainierte er im Fußballverein Jugendmannschaften, abends traf er sich mit Freunden und streifte durch die Läden. Erst ließen sie kleinere Sachen mitgehen. Dabei wurde er schon mal erwischt. Hin und wieder musste er Sozialstunden schieben, Schulwände schrubben, Bürgersteige fegen, ein paar Tage Jugendarrest absitzen. „Das hat mich überhaupt nicht abgeschreckt“, erzählt Mike. Ginge es nach ihm, gäbe es ein schärferes Jugendstrafrecht. „Wäre ich damals härter bestraft worden, hätte ich vielleicht nicht weiter gemacht.“ Bandkollege Philipp sitzt auf seinem Holzstuhl, das Kinn auf die Brust gesenkt. Er hebt den Kopf, schaut Mike an. „Er hat schon Recht“, sagt er kurz. Auf die Frage, warum er hier sei, antwortet Philipp nur: „Körperverletzung – unter anderem“.

Mike machte seinen ersten Bruch mit 13 Jahren: einen Dorfkiosk. Mit 17 eine Bank, mit 19 eine McDonald‘s-Filiale. Mit einer Gaspistole bedrohte er den Kassierer. Gefasst wurde er zunächst nicht. Doch ein Jahr später, morgens um halb sieben, stand die Polizei vor dem Elternhaus. Ein Komplize hatte die Tat gestanden und Mikes Namen genannt. „Meine Eltern wussten gar nichts von all dem, das war ein absoluter Schock für sie“, beendet Mike seine Geschichte und schiebt, ganz abgebrüht, hinterher: „Ich könnte jetzt mein Umfeld, den Alkohol verantwortlich machen. Aber ich habe zu jeder Zeit selbst entschieden, was ich mache und was nicht.“

Während die anderen Häftlinge Fußball spielen, proben die JVA Allstars für den nächsten Auftritt

Mike und seine Musikerkollegen sind im gelockerten Vollzug, sie haben jeden Monat zwei Tage Hafturlaub. Vier Mal durften sie schon „draußen“ auftreten, sieben Mal in anderen Gefängnissen. Als Vorbild für andere gestrauchelte Jugendliche. Anstaltsleiter Friedrich Waldmann ist stolz auf „die Jungs“. „In den Behandlungsgesprächen können wir nie genau wissen, ob sie uns etwas vorspielen“, sagt er. „Aber diese Texte, die sind echt, das ist kein Gesülze.“ Über das, was sie schreiben, reden sie auch mit dem Anstaltspsychologen, mehrmals die Woche. „Wir versuchen hier mit verschiedenen Methoden eine gemeinsame Sprache zu finden“, sagt Waldmann. In der Herforder Anstalt kann das HipHop sein, aber auch Theater oder Kunst.

Der Innenhof der JVA sieht aus wie der Hof einer Waldorfschule. In der Mitte steht ein Athlet, gefertigt aus Ziegelsteinen. Neben der Tür zum Haupttrakt grüßt eine opulente Frauenskulptur in grellem rosa und gelb. Nur die drei Meter hohen Mauern stören hier das Bild. Aber die Kunst entsteht ohnehin in der Freizeit, der Tag, der morgens um sechs beginnt, ist von Ausbildung und Arbeit bestimmt. Wer noch keine abgeschlossene Lehre hat, muss sie hier nachmachen. Mike macht eine Ausbildung zum Heizungstechniker, seine Bandkollegen werden Elektriker. Rosige Aussichten haben sie damit nicht. „Bei der momentanen Lage auf dem Arbeitsmarkt ist es sehr schwer, etwas zu bekommen“, sagt Anstaltspsychologe Georg Hillmann. Auch wenn durch das Jugendstrafrecht die Haft nicht für immer im polizeilichen Führungszeugnis steht, die Lücke im Lebenslauf bleibt. „Mehr als die Hälfte findet später keinen Arbeitsplatz“, schätzt Hillmann. Auch deshalb gibt es in der JVA Kunst- und Musikprojekte. „Wenn die Jungs später Musik machen, Theater spielen können, haben sie etwas zu tun.“

Mike wird als erster der Gruppe entlassen. Im Frühling. Wegen guter Führung hat er fast zwei Jahre Haftverkürzung bekommen. Er will erstmal zu seinen Eltern ziehen, sich um einen Job kümmern – und heiraten. Mit seiner Freundin ist er kurz vor der Inhaftierung zusammen gekommen. Sie sehen sich alle zwei Wochen, wenn Mike Hafturlaub hat. „Bei meinen Eltern, geht ja nicht anders“, sagt er und lächelt. Er will nächstes Jahr zurück in den Knast. Als Besucher. „Ich werde auf jeden Fall weiter zu den Proben kommen“, sagt Mike. „Wir bleiben auch zusammen, wenn wir alle draußen sind.“