: Business in Biolatschen
Die LPG von Brodowin sollte nach der Wende geschlossen werden. Doch die Einwohner hatten andere Pläne.
Graue Häuser, verfallene Bushaltestellen: Willkommen in Brandenburg. Triste Gedanken auf dem Weg in ein kleines Dorf mitten in der Uckermark. Und dann das: In Brodowin angekommen, wähnt man sich plötzlich inmitten eines bunt bebilderten Kinderbuchs. Blumen wachsen vor den kleinen Häusern mit den frischgestrichenen Fensterrahmen, alte Bäume säumen die Wiese in der Mitte des Dorfes. Darauf steht eine kleine Kirche. Dunkelrot leuchtet der Backstein, die schwarz-weiße Tür ist halb angelehnt. Musik tönt aus dem Inneren und schwebt durch die Luft. Es riecht nach Kühen. Ein Bauer im Blaumann läuft vorbei und grüßt freundlich.
Nichts lässt den Besucher erahnen, wie viel Arbeit hinter diesem Idyll steckt: Der Umbau eines ehemaligen LPG-Dorfes zum Ökodorf. Die Umnutzung hat sich gelohnt, denn Brodowin floriert. Während andernorts über Schrumpfungsraten bis zu 50 Prozent geklagt wird, wuchs der Ort seit der Wende um zehn Prozent. Heute leben hier 430 Menschen, darunter viele Kinder. 1995 erhielt Brodowin dafür den TatOrt-Preis der Bundesstiftung Umwelt.
Brodowin lebte schon immer von der Landwirtschaft. Der Mauerfall 1989 brachte einen Gesetzesbeschluss mit sich, wonach alle Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) der ehemaligen DDR innerhalb von zwei Jahren entweder geschlossen oder in eine andere Rechtsform überführt werden sollten. Den Brodowinern war klar: Es musste schnell gehandelt werden, um ihr Dorf zu retten. Ideen hatten sie bereits: Seit 1980 gab es eine regelmäßige Gesprächsrunde im Ort, die so genannten „Brodowiner Gespräche“. Initiiert vom ortsansässigen Schriftsteller Reimar Gilsenbach diskutierten hier Wissenschaftler und Künstler mit ökologisch interessierten Einwohnern über ihr Dorf.
Peter Krentz, Geschäftsführer des Landwirtschaftsbetriebes Ökodorf Brodowin, berichtet, wie es mit der Entwicklung des Ortes weiterging. Er spricht schnell und routiniert und will so gar nicht in das Bild des idealistischen Ökohippies passen. Im Gegenteil: Peter Krentz ist Profi und gewohnt, anderen Menschen die Idee und Praxis des Ökodorfs nahezubringen. Sein Motto: „Tu Gutes und sprich darüber!“ Die Böden waren zu sandig und die Niederschläge zu gering, um mit der herkömmlichen Bewirtschaftung gegen EU-Großunternehmer zu konkurrieren. Egal ob als Genossenschaft oder mit individueller Bebauung von Privatland: Die Chancen standen schlecht für die ehemaligen LPG-Bauern. Also gründeten sie 1990 den Verein „Ökodorf Brodowin“ und beschlossen, ihre Landwirtschaft gemeinsam auf ökologisch-dynamischen Landbau umzustellen. So wollten die Brodowiner auch dem drohenden Wegzug der Einwohner vorbeugen: „Unsere Art des Bioanbaus benötigt etwa das Fünffache an menschlicher Arbeitskraft auf Grund der eigenen Herstellung, Verarbeitung und Vermarktung“, wie Peter Krentz erläutert. Ihre Produkte sollten durch Direktvertrieb auf dem regionalen Absatzmarkt angeboten werden. Um das Vertrauen der Kunden in die Waren zu stärken, wählten sie die strengsten Kriterien, die es für Bio-Produkte gibt, die des Demeter-Anbauverbandes.
Ein weitreichendes Umnutzungskonzept in der Theorie. Doch es fehlte das Geld für die Praxis. Was dann passierte, scheint fast ein Wunder: „Ein Teilnehmer der ,Brodowiner Gespräche‘ war Wissenschaftler in Berlin und knüpfte den Kontakt zu einem Unternehmerehepaar. Durch ihn kannten die beiden unser kleines Dorf und beschlossen, in unser Vorhaben und somit in die Zukunft von Brodowin zu investieren“, so Peter Krentz. Er nennt das nüchtern einen „glücklichen Zufall“.
Beim Spaziergang durch das Dorf ein Blick in die Kirche: Die Musik ist verklungen und Dorfpfarrer Andreas Lorenz steht in blauen Jeans und ausgetretenen Biolatschen neben einem Tisch am Kircheneingang, auf dem herbstlicher Schmuck und kleine rote Äpfel liegen. „Schon vor der Wende gab es Ideen zur ökologischen Umnutzung. Das Konzept kam also aus Brodowin selbst und das Geld aus Berlin. Im Fall von Brodowin hat das Zusammenspiel von Ost und West bestens funktioniert“, erklärt er lächelnd.
Pfarrer Lorenz veranstaltet jährlich den „Kirchensommer Brodowin“ mit Theateraufführungen, Konzerten und Lesungen. Mittlerweile kommen auch Touristen in den Ort: Viel Besuch für seine kleine Backsteinkirche. „Außerdem gibt es eine Menge anderer kultureller Veranstaltungen, das Restaurant, Betriebsbesichtigungen, den Hofladen und die wunderschöne Umgebung“, so der Dorfpfarrer. Vor allem die 1.800 Berliner „Ökokorb“-Abonnementen würden Brodowin oft besuchen. Sie verbringen einen Tag auf dem Land und lernen gleichzeitig noch etwas über Ernährung, Umweltschutz und erfolgreiche Umnutzung.
Veronika Wallner