: Angst vor der eigenen Geschichte
Die Wähler in den USA haben einer Partei den Sieg geschenkt, die wenig damit anzufangen weiß. Die Demokraten dürften bald genauso scheitern wie George Bush
Die Parteien in den USA sind gar keine Parteien. Jedenfalls nicht in dem Sinne, in dem die Europäer sie kennen. Sie sind Sammelbecken verschiedenster Gruppen mit ideologischen und finanziellen Interessen. Hinzu kommen ethnische und religiöse Lobbys. In den Parteien gibt es zwar ambitionierte Politiker, aber oft genug dominieren die zynischen Profiteure, die sich von Investoren kaufen und verkaufen lassen. Für sie ist auch Politik nur ein Markt.
Sicher, manchmal gründen selbst in Amerika Menschen eine Partei, um Ideale zu verwirklichen. So haben sich die Republikaner einst zusammengefunden, um die Sklaverei abzuschaffen. Die Demokratische Partei war vor allem wirkungsvoll, als sie sich für den sozialen Fortschritt engagiert hat – man denke nur an Franklin D. Roosevelt oder Lyndon B. Johnson.
Die heutige republikanische Partei ist nun an ihrer ideologischen Fixierung gescheitert. An ihrer ebenso chauvinistischen wie provinziellen Politik, die in den Händen von moralischen Fanatikern, christlichen Fundamentalisten und neokonservativen Ganoven lag. In George Bush hatten sie einen Präsidenten, der stark wirkte, sich aber als arglistiger Betrüger entpuppte – ein drittklassiger King Lear aus Pappmaché, der sich gegen die Stürme stemmt, die er selbst ausgelöst hat.
Bei den Wahlen zum Kongress gab es kein grundstürzendes Ereignis oder gar eine Revolution, die den Demokraten die Mehrheit in beiden Kammern einbrachte. Wieder einmal sind nur 40 Prozent der Amerikaner wählen gegangen, oft motiviert durch Internetforen. Die Wähler der Demokraten verband vor allem zweierlei: Sie hatten die Lügen des Weißen Hauses über den Irakkrieg satt und waren angewidert von korrupten Politikern in der republikanischen Partei. Sie waren so erpicht auf einen politischen Wechsel, dass sie einer Partei eine komfortable Mehrheit schenkten, die wenig damit anfangen kann. Die Demokraten sind derzeit nicht mehr als eine lose Allianz von Leuten, die einander nicht über den Weg trauen. Sie können sich nicht einmal über die Bedeutung des großen Erbes ihrer eigenen Partei einigen – etwa Johnsons Sozialprogramm „Great Society“ in den Sechzigern. Zudem werden die kommenden zwei Jahre von der Kandidatensuche für die nächsten Präsidentenwahlen überschattet, die allerlei taktische Ränkespiele mit sich bringt. Immerhin bereiten 5 der 49 demokratischen Senatoren eine Kandidatur vor.
Bedenken muss man auch: Sosehr die Republikaner von den Wählern abgestraft wurden – Präsident Bush verfügt nach wie vor über immense Macht. Daher haben die Demokraten auch sofort versichert, dass sie ihn nicht dazu zwingen wollen, die Truppen aus dem Irak abzuziehen, indem sie den Etat des Verteidigungsministeriums beschneiden. Ebenso wenig wollen sie ein Impeachment-Verfahren einleiten, also Bush wegen seiner Lügen des Amtes entheben lassen. Immerhin werden einige exzellente demokratische Abgeordnete wie Henry Waxman und John Conyers als Ausschussvorsitzende den Republikanern das Leben schwer machen und helfen, deren wahre Agenda aufzudecken.
Nur: Was darf man darüber hinaus erwarten? Die Demokraten wollen sich auf Alternativen zur aktuellen Irakpolitik konzentrieren, sind aber peinlich darauf bedacht, dabei nicht in die Details zu gehen. Sie regen eine neue Nahost-Politik an, sind aber im Grunde noch israelfreundlicher, als es die Neokonservativen bis jetzt schon waren. Bleibt die Hoffnung auf die Iraq Study Group, eine unabhängige Kommission unter Leitung des ehemaligen republikanischen Außenministers James A. Baker und des früheren demokratischen Abgeordneten Lee H. Hamilton. Denn sie versucht neue Wege zu weisen: etwa zu direkten Gesprächen mit Iran und Syrien – und zu mehr Druck auf die israelische Regierung.
Dass sich diese Position durchsetzt, ist jedoch keineswegs gesagt. Es kann also gut sein, dass sich die Demokraten bald in der absurden Lage befinden, die unilaterale Politik der Republikaner – natürlich in Abstimmung mit Israel – fortzusetzen, um dann genauso zu scheitern wie die Regierung Bush. Zwar gibt es im Kongress zahlreiche einflussreiche Demokraten, die eine imperiale Außenpolitik der USA ablehnen und eine engere Zusammenarbeit mit dem Rest der Welt wünschen. Die Mehrheit der demokratischen Abgeordneten und Senatoren jedoch teilt die krankhafte amerikanische Neigung zum Narzissmus und denkt: Die Welt erwartet von uns die Erlösung.
In ökonomischen Fragen sind die Demokraten in etwa so uninspiriert wie die Sozialisten und Sozialdemokraten in Europa. Sie unterstützen einen begrenzten Wohlfahrtsstaat und wollen den Mindestlohn anheben, um den Konsum zu beleben. Das soll wohl ein Zeichen ihrer Anständigkeit gegenüber den kleinen Leuten sein. Zudem möchten sie gern mehr in Bildung investieren und die Stammzellforschung auch gegen die Widerstände der christlichen Gruppen ausbauen. Außerdem werden sie wohl versuchen, das Steuersystem wieder so zu gestalten, wie es vor Bushs Steuergeschenken an die Reichen war.
Was den Demokraten fehlt, ist ein großes Projekt, um gegen die zerstörerische Wirkung des sich internationalisierenden Kapitals ankämpfen zu können. Gerade in einer Zeit, in der die Amerikaner mehr denn je einen Staat bräuchten, der sie beschützt und sich für ihre Interessen stark macht, stellen die Demokraten ihre eigenen sozialpolitischen Leistungen in Frage. Sie glauben stattdessen, dass sie mit einer Politik der kleinen Schritte die „Mitte“ der Gesellschaft zurückerobern.
Aber kleine Schritte reichen nicht einmal, um die sozialen Probleme der „Middle Class“ zu lösen, geschweige denn, um die Macht des imperialistischen Militär- und Politikapparates zu brechen. Wer wirklich die Sozialpolitik stärken wollte, müsste das Budget des Pentagons beschneiden. Man darf bezweifeln, dass manch jüngere Demokraten an so etwas zu denken wagen. Ein grundlegendes Konzept hat die demokratische Partei nur in einem Bereich: in der Umweltpolitik – dank des ehemaligen Vizepräsidenten Al Gore. Er wäre wohl auch der beste Präsidentschaftskandidat 2008, will aber bisher nicht antreten.
Kurz gesagt: Die Macht ist in der Legislative an eine Partei gefallen, die zerstritten und unsicher ist. Die internen Streitigkeiten der Demokraten werden schon bald ihr Bild in der Öffentlichkeit bestimmen, vor allem, wenn sie sich mit dem Präsidenten und der republikanischen Opposition im Parlament auseinandersetzen müssen. Vielleicht werden im Laufe der anstehenden Debatten wenigstens einige der möglichen Präsidentschaftskandidaten dazu gezwungen, ein Projekt für die Zukunft zu entwickeln, um sich zu profilieren. Im Augenblick jedoch sind die Demokraten gefangen in ihrer eigenen Begrenztheit – genauso wie George Bush, dessen Idiotie sie ihren Sieg überhaupt zu verdanken haben. NORMAN BIRNBAUM
Übersetzung: Daniel Haufler