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Archiv-Artikel

UNO will offen über Scheiße reden

UN-Entwicklungsbericht: Jeder sechste Mensch hat keinen Zugang zu sauberem und bezahlbarem Trinkwasser, die Armen zahlen dafür am meisten. Jedes Jahr sterben deshalb 1,8 Millionen Kinder. 2,6 Milliarden ohne Sanitäreinrichtungen

von GERNOT KNÖDLER

Die Vereinten Nationen (UN) haben gelernt, mit drastischen Bildern zu arbeiten. Der Trailer zum „Bericht über die menschliche Entwicklung 2006“ des UN-Entwicklungsprogramms UNDP zeigt eine Deponie, auf die afrikanische Slumbewohner ihren in Tüten verpackten Kot werfen. Durch den Berg aus Exkrementen führen leckgeschlagene Wasserrohre. Wenn es regnet, werden die Fäkalien in die nächste Siedlung geschwemmt.

Der Film zeigt die Misere der Wasserversorgung: 1,1 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu sauberem und bezahlbarem Trinkwasser, wie die UN in dem gestern vorgestellten Bericht schätzen. 2,6 Milliarden müssen wie im Film ohne Toilette auskommen. An schmutzigem Trinkwasser sterben jedes Jahr 1,8 Millionen Kinder. 440 Millionen Schultage gehen verloren, weil die Kinder mit Durchfall im Bett liegen. „Es wird Zeit, dass wir uns trauen, offen über Scheiße zu reden“, findet UN-Untergeneralsekretär Ad Melkert.

Für Melkert steht fest: „Die globale Wasserkrise resultiert nicht etwa aus physischer Knappheit, sondern hat ihren Ursprung in Armut und Ungleichheit.“ Leitungen werden nur in wohlhabende Viertel verlegt. Regierungen wie die Äthiopiens oder Pakistans investieren ins Militär statt in die Wasserversorgung. Andere lassen Leitungsnetze verrotten, etwa in Indien oder Mexiko. Im indischen Bundesstaat Gujarat graben Großgrundbesitzer den Nachbardörfern das Wasser ab, um es ihnen dann teuer zurückzuverkaufen.

Das alles führt dazu, dass sauberes Wasser gerade die Ärmsten am meisten kostet. Die Bewohner der Elendsviertel Nairobis zahlen fünf- bis zehnmal so viel für einen Liter wie die Reichen. Wenn das Menschenrecht auf Wasser gewährleistet werden solle, führe kein Weg an öffentlichen Investitionen und einer staatlichen Regulierung vorbei, heißt es im Bericht. Ob die Versorgung in öffentlicher oder privater Hand liege, sei zweitrangig. „Privates Engagement ist nicht der entscheidende Leuchtstreifen am Horizont, der über Erfolg und Misserfolg beim Wasserangebot entscheidet“, schreiben die Autoren. Andererseits sei „ein Problem bei der Wasserversorgung in vielen Ländern die Schwäche öffentlicher Anbieter“. Wichtig seien klare Zielvorgaben und „ein größeres Engagement für Verteilungsgerechtigkeit“.

Die UN plädieren dafür, die Entwicklungshilfe für die Wasserversorgung und sanitäre Einrichtungen um 80 Prozent zu erhöhen. Deutschland, das in jüngster Zeit sieben Prozent seiner Entwicklungshilfe hierfür eingesetzt hat, sei vorbildlich, sagte Melker. Ziel müsse es sein, jedem Menschen 20 Liter täglich zum Trinken, Kochen und zur Hygiene zur Verfügung zu stellen. Ein deutscher Haushalt verbraucht pro Kopf knapp 130 Liter.

Entwicklungshilfe-Staatssekretär Erich Stather zeigte sich weitgehend einverstanden mit den Vorschlägen. Melkerts Bitte, Deutschland möge sich beim G-8-Gipfel für einen globalen Aktionsplan zur Lösung der Wasserkrise stark machen, schlug er ab. „Bevor wir neue Aktionspläne kreieren, sollten wir uns um die Umsetzung der bisherigen kümmern“, sagte Stather.