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Archiv-Artikel

Sich seiner eigenen Raserei stellen

Ausflüge in Welts Welt: Die ersten drei Romane von Wolfgang Welt liegen gesammelt vor – „Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe“

Eine gute Idee! Dieser Band versammelt das vorläufige belletristische Gesamtwerk vom Lester Bangs des Ruhrpotts, der in den frühen Achtzigern drauf und dran war – mit einer gehörigen Portion Chuzpe, Größenwahn, aber eben auch Können –, ein Star und eine echte Zierde der Zunft zu werden. So hat er – ein ewiges Verdienst! – in seinem mittlerweile legendären Fundamentalverriss „Heinz Rudolf Kunze – Deutsche Lieder“ als Erster den germanophilen Studienrat und „singenden Erhard Eppler“ hinter dem Liedermacher entlarvt und adäquat niedergeknüppelt.

Wenn er bloß mehr Zeit gehabt hätte! Wenn er nur nicht darüber verrückt geworden wäre! In seinen ersten beiden konsequent autobiografischen Romanen, „Peggy Sue“ und „Der Tick“, und auch in den flankierenden Erzählungen macht er noch einen großen Bogen um seine „Raserei“. In seinem dritten, mit dem Band „Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe“ erstveröffentlichten Roman „Der Tunnel am Ende des Lichts“ stellt er sich ihr erstmals – mit derselben Erbarmungslosigkeit und Aufrichtigkeit, mit der er sich und sein Leben stets betrachtet hat: Er ist der proletarische Gernegroß, der Parvenü, dem sein maßloser Ehrgeiz und seine Omnipotenzfantasien zu Kopf steigen, der an seinen eigenen Ansprüchen kaputtgeht. Und Welt überlässt es ganz dem Leser, das alles tragisch zu finden oder auch nicht. Er sagt nur, wie es ist.

Welt studiert ein bisschen und hackt hektisch Artikel für Marabo, Musikexpress etc. in die Maschine, nebenbei schreibt er an seinem ersten Buch. Vielmehr, er versucht, es zu schreiben, aber immer kommt etwas dazwischen: Konzerte, Interviews, Besuche bei Plattenfirmen, Reisen – und das Frauenthema! Zumeist geht er ohne Begleitung nach Hause, sodass er es am nächsten Abend umso verzweifelter versuchen muss. Irgendwann emanzipiert sich sein Imaginationsvermögen, schafft er sich ein solipsistisches Paralleluniversum, in dem sich alles um seine Person dreht und noch die aktuelle Bild-Schlagzeile als Zeichen gedeutet wird. Welt hält sich für den neuen J. R. und wähnt ein Filmteam auf seinen Fersen, das die letzte „Dallas“-Folge in Echtzeit dreht, er stört Vorlesungen, randaliert bei Tchibo, nimmt sich ein Hotelzimmer, schickt via Telex verwirrte Prosa an Suhrkamp und kommt irgendwann in die Klapse.

Welt hat immer schnell geschrieben, aber in diesem dritten Teil seines Lebensromans hetzt er durch die Seiten in einem kurz angebundenen, atemlosen, beinahe aufzählenden Berichtstil, der sich keine Zeit mehr nimmt für Dialoge, für Atmosphäre, für Szenerie, eigentlich für alles, was seine Prosa mal ausgemacht hat. Fast meint man, er wolle sich diesen „Irrlauf“-Komplex möglichst schnell von der Seele schreiben. Gut, hat er ja jetzt, dann kann er es in seinem nächsten Buch wieder ruhiger angehen lassen. In der Zwischenzeit sollte endlich eine Auswahl seiner Kritiken, Essays und Reportagen publiziert werden. FRANK SCHÄFER

Wolfgang Welt: „Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe“. Drei Romane. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2006, 491 Seiten, 15 Euro