: Schwanengesang der Rundfunkkunst
RADIO Nordwestradio hat die erste Hörspiel-Version überhaupt von Goethes Werther als behutsame Übersetzung ins akustische Medium produziert – obwohl Radio Bremen dazu technisch nicht fähig ist
Heute Abend kommt Werther, auf Nordwestradio, und dann gibt’s ihn auch als Download – Mensch, das ist eine bemerkenswerte, eine gute und auch erstaunliche Nachricht. Bemerkenswert, weil damit die allererste Hörspielfassung des europäischen Bestsellers überhaupt vorliegt. Gut, weil sie besagt, dass es doch noch Radio Bremen Hörspiele gibt. Und erstaunlich, weil das eigentlich gar nicht möglich wäre.
Denn der Sender, der sich rühmt, Europas modernstes Funkhaus zu haben, verfügt in diesem Meisterwerk technischer Baukunst über ein Radiostudio, das ungefähr so schalldicht ist wie eine Sozialwohnung: Wenn im Konferenzsaal drüber die Stühle knarren, gibt das bei der Aufnahme, in ästhetischen Kategorien gesprochen, einen aleatorischen Effekt. Ja, wie Intendant Jan Metzger bei Amtsantritt schwärmte, der Betonblitz an der Weser steckt wirklich voller „neuer redaktioneller und programmlicher Möglichkeiten“.
Folge: Die Hörspiel-Crew reist durch die Lande, nimmt in Studios in Stuttgart und Frankfurt auf und mischt das Werk dort auch ab.
Es ist nämlich so, dass Hörspiel von der Senderleitung für verzichtbar gehalten wird. Das sagt sie so nicht. Das signalisiert sie aber umso deutlicher. So hat sie den Produktionsetat gerade frisch halbiert, damit man nicht an „journalistischen Formaten“ wie „Nordwest vor Ort“ sparen muss. Das ist eine Art Sisyphos-Talk: In der Sendung sollen kompetente Gesprächspartner versuchen, zu aktuellen Themen einen Gedanken zu formulieren. Immer, wenn sie’s fast geschafft haben, kommt ein neuer Musikblock, und der Gedanke ist futsch. Das entspricht zwar dem Trend, ist aber rundfunkpolitisch dümmlich, wie sich auch am Dreiteiler „Die Leiden des jungen Werther“ zeigen lässt.
Denn diese Produktion hat einen Mehrwert und einen Markt. Nicht, weil Schwanengesänge immer ihre besondere Schönheit haben, und auch nicht, weil sie sonderlich experimentell wäre. Im Gegenteil, es ist eine behutsame Übersetzung des Klassikers ins akustische Medium, die das brennende Pathos des Originals erträglich macht. Dabei legt sie seine Vielstimmigkeit im Monolog durch klar getrennte, nie affektierte Sprechhaltungen frei: Florian von Manteuffel hat den Titel-Part übernommen, und es ist eine Ohrenlust ihm zuzuhören, wie er seine, pardon, Werthers Seele vor sich hin murmelnd in die Briefe legt, ins Tagebuch wirft – und in den raren Dialogen mühsam bezwingt. Regisseurin Christiane Ohaus hat streng auf Artikulation geachtet, auf Tempi und Zäsuren. Und ab und an gibt’s ein paar Flageolett-Tupfer.
Aber trotzdem – und gerade drum sind solche Produktionen sinnvoll: Sie erfüllen den Bildungsauftrag – und bringen Geld, wenn andere Sender sie übernehmen, vor allem aber, weil sie sich als Hörbuch verticken lassen: Der Bremer Werther hat schon einen Verlag. Der Gewinn soll die Produktion von Originalhörspielen fördern – sprich: Die Löcher im Etat stopfen. BES
Erstsendung: Nordwestradio, 3./ 10./ 17. 12., 21.05 Uhr