: Grüne fahren zweigleisig
STUTTGART 21 Grüne halten die Finanzierung des neuen Bahnhofs durch das Land für verfassungswidrig und berufen sich dabei auf Rechtsgutachten. Damit ist der Weg zu einem Volksentscheid juristisch verbaut
AUS STUTTGART NADINE MICHEL
Am Wochenende wollen sich die baden-württembergischen Grünen auf ihrem Landesparteitag auf den Wahlkampf einstimmen. Nach dem Schlichterspruch von Heiner Geißler für ein verbessertes Bahnprojekt „Stuttgart 21“ gilt es für die Grünen, ihren Höhenflug in den Umfragewerten, den ihnen vor allem der S-21-Protest beschert hatte, zu halten. Nach einer neuen repräsentativen Umfrage im Auftrag des Südwestrundfunks und der Stuttgarter Zeitung liegt derzeit noch Rot-Grün knapp vor Schwarz-Gelb. Doch beim derzeit alles bestimmenden Thema Stuttgart 21 zeigen sich Widersprüche in der Haltung der Grünen, wenn sie eine Koalition mit der SPD eingehen wollen.
Zunächst hatte die SPD mit ihrer Forderung nach einem Volksentscheid den Weg für eine mögliche rot-grüne Koalition freigemacht und die unterschiedlichen Haltungen zum Bahnhof überwunden. Auch die Grünen wollen diesen Volksentscheid. Sie haben jedoch gleichzeitig mit einem anderen Gutachten gegen Stuttgart 21 den Volksentscheid indirekt in Frage gestellt.
Die rechtliche Grundvoraussetzung für einen Volksentscheid sehen SPD und Grüne darin gegeben, dass sich die Landesregierung an der Finanzierung von Stuttgart 21 und an der damit geplanten Neubaustrecke nach Ulm beteiligt. Doch diese Mitfinanzierung halten die Grünen für verfassungswidrig. In einem Gutachten hatten sie darlegen lassen, dass die Finanzierung von Bahnprojekten alleinige Angelegenheit des Bundes sei. Über diesen Hebel wollen sie versuchen, S 21 zu stoppen. Wie aber wollen SPD und Grüne koalieren, wenn der eine gerade wegen der Landesfinanzierung einen Volksentscheid will, der andere dieses jedoch rechtlich ausschließen will?
Die Grünen wollen sich zu diesem Widerspruch noch nicht konkret äußern. „Die juristischen Details würden in einer möglichen Koalition partnerschaftlich geklärt“, sagte die Grünen-Landeschefin Silke Krebs zur taz. „Dafür würden wir sicherlich eine Lösung finden.“
In der Tat gäbe es eine Möglichkeit, den Widerspruch aufzulösen: dann, wenn man zwischen dem Bahnhofsbau und der Neubaustrecke unterscheiden würde. Der Volksentscheid ließe sich allein über Stuttgart 21 durchführen, ohne die ICE-Trasse einzubeziehen. Gleichzeitig könnten die Grünen verfassungsrechtlich gegen die Finanzierung der Neubaustrecke vorgehen, ohne den Bahnhof zu berücksichtigen. Genau an dieser Stelle war auch das Gutachten des Rechtsprofessors Hans Meyer am schwächsten. Denn beim Bahnhof wird nicht nur die Bahn-Infrastruktur verändert. Ganz stark geht es dabei auch um Stadtentwicklung und dies wäre damit eine Gestaltungsaufgabe von Land und Stadt Stuttgart. Der Zuschuss an den Bund zum Bahnhof ließe sich also wesentlich besser rechtfertigen.
Dieser Unterscheidung müsste aber auch die SPD zustimmen. Und für die steht fest: Ein Volksentscheid wäre nur über beide Projekte zusammen sinnvoll. „Die Grünen müssen sich mal entscheiden, ob sie diesen Weg mitgehen wollen oder nicht“, sagte Landeschef Nils Schmid. Mit dem Gutachten würden die Grünen eine Volksbefragung quasi ausschließen.
Derweil scheint die Schlichtung die Meinung zu S 21 gedreht zu haben. Inzwischen befürworten 54 Prozent der Baden-Württemberger das Bahnprojekt. 38 Prozent sind dagegen. Noch vor zwei Monaten waren 54 Prozent dagegen und 35 Prozent dafür. Würde am kommenden Sonntag gewählt, kämen die CDU auf 39 und die FDP auf 5 Prozent. Die Grünen liegen bei 28, die SPD liegt bei 18 und die Linke bei 5 Prozent. NADINE MICHEL