: „Eine Lust am Krach“
NOISE Vortrag über das Scheitern eines musikalischen Ansatzes, der auf Negation beruht
■ 36, macht Noisemusik und beschäftigt sich in einem Seminar an der HFBK auch mit der Theorie von Aufruhr und Lärm.
taz: Herr Wallraf, warum mögen Sie Lärm?
David Wallraf: Sobald man das Wort Lärm benutzt, befindet man sich schon mitten in einer Diskussion. Wenn man nämlich versucht, „Noise“ ins Deutsche zu übersetzen und sich nur diesen Begriff rauspickt, ist das schwierig. Dazu gehören auch Geräusch, Krach und das Rauschen. Was mir daran gefällt, sind die verschiedenen Intensitäten.
Was genau ist denn Noise?
Als musikalisches Genre betrachtet, markiert Noise eine Entwicklung der Musik im 20. Jahrhundert, wo das, was akustisch passiert, performt oder auf einen Tonträger aufgenommen wird, mit gängigen Musikdefinitionen eigentlich nur noch eins zu tun hat: Dass Schallereignisse in der Zeit organisiert werden. Das kann auch einfach heißen, dass festgelegt wird, dass es irgendwann anfängt und aufhört. Dazwischen kann alles passieren. Genau das finde ich daran ansprechend – und dass es keine Melodieführung, keine Harmonik, keinen Rhythmus mehr geben muss.
Wer hört heute Noisemusik?
Das sind schon mikroskopische Szenen, die aber sehr international sind. Es gibt auch nicht die eine Noise-Szene, sondern viele Bindestrich-Genres, die an andere musikalische Szenen andocken, wie Noise-Rock oder Harsh-Noise. Es gibt verschiedene Haltungen, die sich bei Konzerten oder auf Festivals treffen. Man teilt eine Lust am Krach.
In einem Forschungsprojekt an der HFBK untersuchen Sie die künstlerischen und politischen Implikationen von Noise.
Ein wichtiger Begriff, den ich im Vortrag mit Benjamin Sprick herausstellen will, ist der der Klangpolitik. Wie Schall und Musik als Instrumente von Kontrolle in gesellschaftlichen Zusammenhängen benutzt werden. Der Begriff des Rausches als einkalkulierte Störung lässt sich dem des Lärms gegenüberstellen, der etwas unerwünschtes ist, was es mit einer Lärmschutzwand oder Gesetzen zu minimieren gilt. Noise markiert da eine Verweigerung.
Wie weit kommt man mit einem Ansatz, der sich durch eine Ablehnung definiert?
Man verdient damit jedenfalls kein Geld. Das Scheitern hat im Noise eine Doppeldeutigkeit. Wenn man viel Noise hört, entwickelt man vielleicht ein Ohr dafür, dass es durchaus musikalische Strukturen gibt, damit wird Noise dann aber zur Musik. Das ist paradox – und macht die Sache interessant. INTERVIEW: LKA
„Rauschen und Lärm. Über das Scheitern einer Analyse“, Vortrag und Performance mit Benjamin Sprick: 20.30 Uhr, Golem