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Archiv-Artikel

„Wir begegnen uns auf Augenhöhe“

Russen haben in Deutschland ein neues Image, sagt Victor Ostrowski. Migranten haben es dennoch schwer

taz: Gazprom engagiert sich auf Schalke, Supermärkte entdecken den russischen Kunden. Haben Sie das Gefühl, dass die Deutschen russische Migranten nun mit anderen Augen sehen?

Victor Ostrowski: Klar. Die Deutschen erleben die Russen ja nicht nur hier, sondern auch im Urlaub. Da merken sie, wie locker manche von uns mittlerweile mit Geld umgehen können. Während in Deutschland viele Menschen Angst vor der Zukunft haben, hat sich das Image der Russen im Ausland aufgebessert. Deshalb haben die Menschen das Gefühl, sich auf gleicher Augenhöhe zu begegnen.

Besteht die Gefahr, dass sich in Deutschland Angst vor der neuen russischen Stärke ausbreitet?

Nein. Die Vorurteile und Ressentiments gegenüber den Russen sind in Deutschland eher weniger geworden. Uns geht es da besser als zum Beispiel den Muslimen.

Ist das Selbstbewusstsein der russischen Migranten in Deutschland gewachsen?

Das wäre schön, stimmt aber nicht für alle. Eine große Gruppe russischer Migranten spricht noch immer kein Deutsch. Das gilt vor allem für die erste Einwanderergeneration. Außerdem darf man nicht vergessen, dass diese Menschen noch in einem anderen System groß geworden sind. Da ist es schwer, sich an den Rechtsstaat, die Demokratie und die Gesetze hier zu gewöhnen.

Zu viele sind zu schlecht integriert?

Natürlich schotten sich manche Russen ab. Aber das passiert quasi automatisch: Wer in Deutschland ankommt, landet erstmal in der russischen Parallelgesellschaft. Allerdings will keiner, dass es so bleibt: Es ist zu 99 Prozent eine soziale Frage, wer die Integration schafft. Wer beruflich Erfolg hat, schafft den Sprung. Die anderen werden oft depressiv.

Bekommen russische Migranten in Deutschland genügend Chancen?

Es liegt noch viel Potenzial brach. Leider wird der Integrationsprozess noch zu häufig nur verwaltet. Man müsste den Migranten helfen, sich in die Gesellschaft einzubringen. Dafür gäbe es genug Möglichkeiten: Unter den russischen Migranten gibt es viele Lehrer und Künstler, die ein Leben lang mit Kindern und Jugendlichen zusammengearbeitet haben und jetzt arbeitslos sind. Gerade hier könnten die Deutschen Hilfe gebrauchen, und da könnten die Russen ganz groß einsteigen. Auch in der Altenpflege könnte das Potenzial der Russen noch mehr genutzt werden. Es geht dabei nicht um großes Geld, sondern um Anerkennung.

In NRW wird es bald eine russischsprachige Tageszeitung geben. Wäre es im Sinne der Integration nicht besser, wenn die Russen deutsche Zeitungen lesen würden?

Es kommt darauf an, worüber eine solche Zeitung berichtet. Wenn über unsere neue Heimat hier berichtet wird, ist das nur gut. Es ist nicht wichtig, dass wir alles in deutscher Sprache verstehen – wichtig ist, dass wir hier bewusst leben. Eine solche Zeitung kann auch auf Russisch ein Medium für Deutsche sein. So etwas fehlt bisher: Die existierenden russischen Medien hier berichten über Deutschland, als ob es in Australien läge.

INTERVIEW: KLAUS JANSEN