Sie sind eine eigene Liga

KONZERT Die britischen Sleaford Mods mischen reduzierte Beats mit sozialrealistischen Schimpfkanonaden und gelten als momentan beste Band der Welt. Ihr Auftritt im Bei Ruth gibt Gelegenheit, das nachzuprüfen

Jason Williamson hatte offensichtlich eine sehr lange Zeit viele Probleme

VON FINN JOHANNSEN

Ich interessiere mich schon seit Jahren nicht mehr sonderlich für Bands. Manchmal lese ich über irgendwelche Hoffnungsträger in irgendeiner dieser für Bands zuständigen Fachzeitschriften und mache einen unmotivierten YouTube-Test, und das führt dann fast immer dazu, dass ich mich weiterhin nicht mehr sonderlich für Bands interessiere. Als mir ein guter Freund vor einiger Zeit die Sleaford Mods als momentan beste Band der Welt empfahl, war ich entsprechend skeptisch, lag aber komplett falsch. Die Sleaford Mods sind tatsächlich die momentan beste Band der Welt.

Jason Williamson, der das Projekt 2006 ins Leben rief, kann mit Bands prinzipiell auch nicht sonderlich viel anfangen. Wohl deswegen waren die Sleaford Mods eine Weile nur er selbst, dann traf er auf Andrew Fearn, und es wurde ein Duo. „I used to be in bands, fuckin hated it“, lautet die einzige Info auf der Bandcamp-Seite. Die ersten vier zwischen 2007 und 2011 nur auf CD-R erschienenen Alben waren dort bis vor Kurzem noch als Download erhältlich, jetzt sind es nur noch die zwei Alben mit Fearn danach. Warum das so ist, liegt vorerst im Dunkeln.

Vermutlich war Williamson erst mit den späteren Songs richtig zufrieden, es lungern offizielle Reissues auf ihren Einsatz, oder es gab die Erkenntnis, dass der rasch fortschreitende Bekanntheitsgrad mit heftigen Copyrightklagen einhergehen könnte, denn aus der Not des Einzelkämpfers heraus bestand das Anfangswerk aus einem wilden Wust von Samples, querbeet durch die Northern-Soul-, R&B-, Beat-, Rocksteady-, HipHop- und Punkgeschichte wegzitiert, und das nicht in der obskuren Variante.

„No samples cleared, bastards are loaded anyway“, lautete eine diesbezügliche Info zu einem vorerst verschwundenen Frühwerk, und mit diesem Duktus muss man schon klarkommen können, wenn man sich für die Sleaford Mods interessiert, denn er läuft quasi nonstop. Gerne wird Williamson mit seinen rotzigen Schimpfkanonaden mit großen sozialrealistischen Grantlern der englischen Musikgeschichte wie John Cooper Clarke und Mark E Smith verglichen, noch kürzer gegriffen mit Mike Skinner, wohl auch wegen dessen entspanntem Verhältnis zur Musikalität von Beats, aber stets bleibt die Erkenntnis, dass Williamson seine eigene Liga ist.

Der Mann hatte offensichtlich eine sehr lange Zeit viele Probleme, und man hofft fast, dass der aufgestaute Frust noch reicht, wenn er nicht mehr so viele hat. Bis dahin hasst er alles und jeden, und das mit Recht. Und der Fluss seiner schmerzhaften Beobachtungen und wüsten Beschimpfungen ist so beeindruckend treffend, dass man ihm unbedingt zustimmen muss. Wahrscheinlich gibt es noch viel mehr Idioten und Idiotie da draußen, schon allein deswegen ist er unverzichtbar. Und die Musik ist es auch, ein Musterbeispiel der Kongenialität.

Anfangs bestach der Sound der Sleaford Mods dadurch, dass nur die besten Elemente relevanter Meilensteine als Loops isoliert wurden und dadurch fast noch relevanter klangen, und darunter durchweg primitive, aber immer passende Beats. Andrew Fearn hat diese Idee noch effizienter gemacht, außer einer mickrigen Beatbox, postpunkigen Basslines und ein paar ausgewählt beiläufigen, aber immer zwingenden Sound-Irrlichtern lenkt jetzt noch weniger von Williamson ab, und trotzdem könnte man sich keinen Song anders vorstellen, als er geworden ist.

Auf der Bühne setzen sie das ebenso konsequent um. Im Hintergrund Fearn, der einen Laptop vor sich hat, sich aber die meiste Zeit höchstens damit beschäftigt, wie der Kumpel auszusehen, den der Sänger damals auf dem Arbeitsamt kennengelernt hat und seitdem immer auf die Konzerte mitnimmt. Der komplett referenzbefreite Billo-Fly-Boy-Look, mit markenloser Jogginghose, albernen T-Shirts, schlechten Kappen und schlechter Rasur, und immer ein Dosenbier in der Kralle und eine Fluppe im Maul, verantwortlich für den authentischen Wenig-frische-Luft-Teint, merkwürdige Gesichtsausdrücke und sehr ungelenke und unmotivierte Dance Moves.

Bei Williamson auch ein Getränk am Mann, teils zum Schmieren der im Dauereinsatz geforderten Stimmbänder, teils weil es eben auch sein muss. Er ist respekteinflößend charismatisch und eine coole Sau, und niemand wird es je wagen, ihn zu unterbrechen. Sein Aussehen und seine Kleidung verraten den Mod-Part in der Zusammensetzung, aber in der sehr beiläufigen Ausprägung, ein paar Insignien reichen, man nennt sich schließlich nicht die Chelsea Mods, und man hat zu viel Verstand, zu wenig Kohle und immer noch genug Working-Class-Stolz um The Face sein zu wollen.

Es ist fast ein bisschen rätselhaft, wie die beiden es hinkriegen, so dermaßen gut so viele Subkulturen auf einmal zu sein, sowohl textlich, musikalisch und äußerlich, aber sie kriegen es hin. Die vielen, nicht sonderlich interessanten Bands müssen die momentan beste Band der Welt so sehr hassen, wie diese den Rest der Welt.

■ Sleaford Mods: Bei Ruth, Ziegrastr. 11, 18. 5., 21 Uhr