LITERATUR MIT SOFTBALL : Verloren im Outfield
ANDREAS RÜTTENAUER
Mädchen reiten doch so gerne. Wie wäre es mit einer Reiterin, die es in den Kreis der erweiterten nationalen Spitze geschafft hat? Aber geht das überhaupt? Eine Leistungssportlerin, deren linksliberale Eltern wahre Monster der politischen Korrektheit sind, als Protagonistin eines großen deutschen Gesellschaftsromans? Oder ist Handball besser, Rennrodeln oder Biathlon? Aber dann müsste die Protagonistin Sportsoldatin sein oder mindestens beim Zoll. Aber das wäre übertrieben: Eine Tochter aus pazifistischem Elternhaus wird Sportlerin in Uniform. Und geht das überhaupt in Deutschland: Sport im großen Gesellschaftsroman?
Wenn es aus den USA ein Roman nach Deutschland schafft, ist oft Sport drin. Die Kritiker stört’s nicht. Und ein Buch, in dem es um die Selbstfindung einer ehemaligen Leistungssportlerin geht, kann sich sogar bestens verkaufen. In „Freiheit“ von Jonathan Franzen ist eine der Hauptfiguren Patty Berglund. Die hat am College Basketball gespielt und hat es „im zweiten Studienjahr in das virtuelle Team der zweitbesten Spielerinnen ganz Amerikas geschafft“, wie es in der Übersetzung von Bettina Abarbanell und Elke Schönfeld heißt. Wohin hatte sie es geschafft? „She’d made second-team all-American“, heißt es im Original. Hm?
„Freiheit“ ist eben ein Roman aus den USA und da ist der Sport ganz anders als hier. Und sollen wir uns wirklich von einem Roman abwenden, nur weil wir eine Schlüsselszene zur Beschreibung eines Charakters nicht so recht verstehen? Die junge Patty in Franzens Roman spielt im Team ihrer Schule Softball. Softball! Das ist jene dem Baseball entlehnte Variante eines Mannschaftssports, der kürzlich aus dem olympischen Programm entfernt wurde. Also: „Die Schlagfrau traf den Ball so, dass er einmal aufsetzte und dann zu dem grauenhaft linkischen Mädchen auf der Shortstop-Position flog, aber Patty stürzte sich dazwischen und schnappte ihr den Ball vor der Nase weg, um selbst loszurennen, die vordere Läuferin abzuschlagen und dann die andere zu jagen, irgendein süßes Ding, das wahrscheinlich nur wegen eines Fielding Errors bis zur ersten Base gekommen war. Patty hielt direkt auf sie zu, bis sie kreischend ins Outfield rannte, also den Basepfad verließ, sodass sie automatisch out war, aber Patty verfolgte sie weiter und schlug sie ab, woraufhin sie sich krümmte und …“ Alles klar?
Freuen wir uns also schon einmal auf die erste Biathletin in einem deutschen Schlüsselroman! Auf eine hoffnungsvolle Läuferin aus Oberbayern, die in einem Juniorinnen-Wettbewerb im slowakischen Osrblie nach fehlerfreiem Stehendschießen ihre weißrussische Dauerkonkurrentin einen Kilometer vor dem Ziel einholt und dieser verbissenen Anabolikamaschine aus Osteuropa – statt einfach an ihr vorbeizuskaten – auf den Ski tritt, so dass diese stürzt. Oder wollen wir so etwas dann doch nicht lesen?