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Archiv-Artikel

„Die Kapitulation vor Hamburg“

Karl-Martin Hentschel, grüner Fraktionschef in Schleswig-Holstein, über Hamburgs Dominanz in der Metropolregion, die Teilung des Landes in Speckgürtel und Provinz und die Alternative Nordstaat

INTERVIEW SVEN-MICHAEL VEIT

taz: Herr Hentschel, was haben Sie eigentlich gegen die länderübergreifende Zusammenarbeit in der Metropolregion Hamburg?

Karl-Martin Hentschel: Gar nichts – wir brauchen den Nordstaat dringend, weil Hamburg und Schleswig-Holstein in allen Bereichen eng verflochten sind. Ich kritisiere aber, dass Schleswig-Holstein in der Zusammenarbeit nicht mehr selbstbewusst die Interessen des ganzen Landes vertritt. So wie es im Moment läuft, werden Hamburg und die Metropolregion gestärkt, der Rest von Schleswig-Holstein spielt keine Rolle mehr.

In der Selbstverwaltung der Metropolregion gilt Einstimmigkeit. Wie könnte Hamburg da dominieren?

In der Praxis läuft das darauf hinaus, dass Hamburg und die Randkreise sich absprechen, während das Land als Sachverwalter der Regionen außerhalb der Metropolregion an Einfluss verliert. Das betrifft fast alle Politikbereiche: Wirtschaft, Innovation, Verkehrspolitik, Häfen, Wissenschaft und Kultur, Verwaltungsreform, Umwelt- und Naturschutz und die Meerespolitik. In allen relevanten Fragen für das gesamte Land regiert Hamburg mit.

Sie befürchten, dass Schleswig-Holstein – „op ewig ungedeelt“ – doch wieder geteilt wird: in einen reichen Süden und einen armen Norden?

Hamburg hatte historisch immer das Interesse, die gesamte Unterelbe zu kontrollieren. Dabei geht es insbesondere um die Elbvertiefung, um die Verhinderung unerwünschter Konkurrenz in Elbhäfen unterhalb von Hamburg, um Ausgleichsflächen für Bauprojekte, um die Abfallentsorgung. Hamburg hat ein vitales Interesse, über Flächen im Umland zu verfügen und über den Fluss zu herrschen.

Bisher war Hamburg dabei auf Deals mit der Landesregierung in Kiel – und auch der in Hannover – angewiesen, die das gesamte Bundesland im Auge haben muss. Beispiel ÖPNV: Hamburg und die Randkreise wollten nur den HVV erweitern. Wir haben einen einheitlichen Tarif für ganz Schleswig-Holstein und Hamburg durchgesetzt. In Zukunft ist das vorbei: Hamburg dealt mit seinem Speckgürtel, und der Rest sitzt am Katzentisch. Das ist die Kapitulation der Provinz vor der Metropole.

Malen Sie da nicht ein bisschen sehr schwarz?

Nein. Nehmen wir zum Beispiel das geplante gemeinsame internationale Marketing. Damit wird der Wirtschaftsraum mit der größten Dynamik in Schleswig-Holstein, der Hamburger Rand, von Hamburg vertreten. Praktisch bedeutet das, dass der Rest des Landes international nicht mehr in Erscheinung tritt. Dies wird sich auch auf die Bereiche auswirken, in denen Schleswig-Holstein heute noch eine hohe Bedeutung hat, wie im Tourismus, in der Windkraft, in der maritimen Wirtschaft. Ich fordere deshalb ein gemeinsames Marketing von Hamburg und ganz Schleswig-Holstein.

Sie stehen mit Ihrer Kritik ziemlich alleine gegen die Euphoriephalanx in der Metropolregion. Auch aus dem Süden Niedersachsens sind ähnliche Befürchtungen nicht zu hören.

Im Gegenteil – viele denken so. Der Präsident der Unternehmensverbände Nord, Hans Heinrich Driftmann, hat das so formuliert: „Bei der auszubauenden Kooperation mit Hamburg müssen wir großen Wert darauf legen, dass unser Land nicht filetiert wird.“ Deshalb hat er einen „Masterplan“ gefordert für die Fusion der beiden Bundesländer.

Die Entwicklung wird dennoch kaum an Ihrem Widerstand scheitern. Haben Sie eine Alternative parat?

Die Alternative ist der Nordstaat mit einer gemeinsamen Landesregierung, die die Verantwortung für die gesamte Region übernimmt von Flensburg bis Harburg oder eben auch bis Uelzen, wenn die dazu wollen. Ohne Nordstaat wird die Politik von Hamburg gemacht – aber ein Hamburger Senat denkt immer zuerst an Hamburg und bestenfalls noch an das Umland, für den Rest trägt er keine Verantwortung. Kurzfristig muss die Landesregierung in Kiel sicherstellen, dass in die Verträge mit Hamburg das ganze Bundesland mit einbezogen wird. Das bedeutet konkret: Wir brauchen eine gemeinsame Organisation des öffentlichen Verkehrs, anstatt um jede Regionalbahn zu feilschen, die über die Stadtgrenze fährt. Wir brauchen eine gemeinsame internationale Vermarktung und eine gemeinsame Tourismusagentur, die die gesamte Region vermarktet: Hamburg, Haithabu und die Nordsee, Karl-May-Festspiele und Kieler Woche. Und wir brauchen eine abgestimmte Hochschulpolitik – ein Drittel der schleswig-holsteinischen Lehrer studiert in Hamburg – und eine Abstimmung mit Hamburg über die Entwicklungscluster für die Wirtschaftsförderung.

Was erwarten Sie von der ersten Regionalkonferenz in Stade am Dienstag?

Ich würde mir wünschen, dass die schleswig-holsteinische Landesregierung die Probleme selbstbewusst zur Sprache bringt. Ich fürchte aber, dass sie so sehr mit sich selbst und mit den Problemen in der Koalition beschäftigt ist, dass sie für strategische Debatten keine Zeit hat.