: „Ein kleiner Funke würde reichen“
Der Frust unter Migrantenjugendlichen sei so groß, dass die Lage schnell eskalieren könne, sagt der türkische Filmemacher und Jugendarbeiter Neco Celik. An Ausschreitungen wie denen in Kreuzberg sei die Polizei schuld
taz: Herr Celik, am Dienstag kam es zu Ausschreitungen zwischen türkischen Jugendlichen und Polizisten in Kreuzberg. Haben wir bald französische Verhältnisse?
Neco Celik: Ja, schon ein kleiner Funke würde reichen. Die Arbeitslosigkeit ist auf dem Höhepunkt, die Großfamilien verschwinden – das nagt an den Jugendlichen. Sie sehen, was in Paris passiert ist und was sie bewegen können. Irgendwann wird einer die ganzen Jungs um sich scharen und sagen: „Es geht nicht mehr weiter so, wir wollen eine Veränderung.“ Und wenn da ein Polizist mit gezogener Pistole kommt und sich außerdem auch die Jugendlichen falsch verhalten, kann es schnell eskalieren.
Wie hoch ist das Gewaltpotenzial?
Nicht höher als bei deutschen Jugendlichen. Jugend ist Jugend, da muss man nicht nach Stammbaum trennen. Es kommt auf ihre Biografie an. Wir sehen ja, was im Osten Deutschlands passiert, welche Freaks da mit einer ganz anderen politischen Anschauung herumlaufen.
Welches Verhältnis haben türkische Jugendliche in Deutschland zum Staat?
Der Staat ist sehr weit weg. Diese Antipathie existiert schon seit der ersten Generation. Die Union hat 1999 Unterschriften gegen die geplante Tolerierung der doppelten Staatsbürgerschaft bei der Einbürgerung von Ausländern gesammelt – das vergisst man nicht. Die Partei, die gegen uns ist, ist jetzt an der Macht. Auch jetzt bei der Debatte um das Bleiberecht: Von wem reden sie? Reden sie von den Flüchtlingen? Wir sind schon seit 40 Jahren hier. Alle so in einen Topf zu werfen, nach dem Motto „Ihr seid ja alle derselbe Abschaum“, das nagt an den Leuten. Wenn man als Abschaum behandelt wird, dann verhält man sich auch so.
Und wie ist das Verhältnis zur Polizei?
Ich frage mich, in welcher Situation die Polizei steckt, dass sie so unverhältnismäßig in ihren Aktionen reagiert. Sind Polizisten so geil auf Gewalt, dass sie sich mit den Kids anlegen und rassistische Bemerkungen machen? Das, was die jungen Menschen machen, sind Jugendsünden – da soll man sie nicht wie Schwerverbrecher behandeln. Wie kann ein Polizist Sätze sagen wie „Geh nach Hause zurück“ – was hat sich denn da angestaut?
Welchen Ausweg sehen Sie?
Die Polizei ist sehr aktiv und motiviert ihre Leute. Aber es gibt schwarze Schafe, die nur auf die Kacke hauen wollen, anstatt zu intervenieren – und das sind leider nicht wenige. Es gibt verhältnismäßig viel zu wenige türkische Polizisten, gerade in einer Stadt wie Berlin. Schwarze Polizisten in schwarzen Ghettos sind doch auch selbstverständlich. INTERVIEW: MARTIN LANGEDER