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Archiv-Artikel

Hier werden sie geholven

Die Evaluation der eigenen Lehre ist vielen Dozenten nicht geheuer. Das liegt weniger an den Ergebnissen als an Verunsicherung: Kann ein Fragebogen die Leistungen adäquat erfassen? HILVE ist ein gut funktionierendes Instrument

VON LARS KLAASSEN

Wie gut ist die Lehre an deutschen Unis? Studierende, die künftig Gebühren zahlen sollen, wollen darauf eine Antwort haben. Schon seit Anfang der 90er-Jahre wird an Universitäten im deutschsprachigen Raum die Einführung studentischer Lehrevaluationen in Modellprojekten erprobt. Schon bald werden sie zum selbstverständlichen akademischen Alltag gehören – und auf Ablehnung stoßen: „Obwohl in der Regel gute durchschnittliche Beurteilungen von Lehrenden und Lehrveranstaltungen durch Studierende erzielt werden, ist die Skepsis vieler Professoren gegenüber studentischen Evaluationen nicht übersehbar“, weiß Heiner Rindermann. Der Experte für Lehrevaluation ist unter anderem am Institut für Psychologie an der Universität Magdeburg tätig. „Selbst Gerichte kamen zur Ansicht, dass Studenten ‚zu einer objektiven Beurteilung generell nicht in der Lage‘ seien. Diese Äußerungen stehen aber in Kontrast zum internationalen Forschungsstand.“

Für große Unsicherheit sorgt bei vielen Lehrenden die Frage, welcher Fragebogen denn geeignet ist, die eigene Leistung adäquat zu beurteilen. Eine Reihe von Hochschulen hat eigene Fragebögen entwickelt. „Ohne solche Unterstützung und entsprechende Beratung sind viele Dozenten mit der Evaluation in der Regel auch schlicht überfordert“, sagt Uwe Schmidt, Leiter vom Zentrum für Qualitätssicherung an der Uni Mainz. „Wer will, kann bei einer kurzen Internetrecherche zwar schon eine ganze Reihe von Fragebögen finden, aber das allein hilft nicht weiter.“ Das erste Problem: Nicht alle der Fragebögen erfüllen die methodisch nötigen Kriterien für eine akkurate Evaluation. Selbst wenn sie es tun, stellt sich ein zweites Problem: Kaum ein Dozent kann sich einen Überblick darüber verschaffen, welcher der verfügbaren Fragebogen passt.

Die richtige Methodik hat auch in der Praxis ihre Tücken; das fängt mit dem richtigen Zeitpunkt für eine Evaluation an: Der Bogen sollte nicht zu Anfang des Semesters bearbeitet werden, da die Teilnehmer zu diesem Zeitpunkt noch keinen Überblick über das Kursgeschehen haben, ebenso nicht am Ende, da zu diesem Zeitpunkt meist weniger Studierende anwesend sind und Rückmeldungen keine Auswirkungen auf die laufende Veranstaltung haben. Außerdem sollte der Fragebogen nicht erst nach dem regulären Ende der Veranstaltung ausgeteilt werden, sodass es dann den Studierenden selbst obliegt, ob und wann sie ihn ausfüllen, sondern im Rahmen der regulären Unterrichtszeit. An solch profanen Details ist manche Evaluation gescheitert.

„Wenn Hochschulen ihre Dozenten bei der Evaluation mit einem zu Fach und Veranstaltungsart passenden Fragebogen samt Gebrauchsanweisung und Nachbereitung unterstützen, ist einiges gewonnen“, so Schmidt.

Ohne Standards ist kein Vergleich möglich

Doch auch dann fehlt noch etwas: Um die Daten angemessen interpretieren zu können, bedarf es eines Vergleichs und damit bei notwendiger Differenzierung nach Veranstaltungsarten und Fächern weitgehend standardisierter Fragen, die nicht nur auf Einzelfälle zugeschnitten sind. Ein solches Instrument gibt es laut Schmidt noch nicht. Doch Ansätze dafür seien vorhanden: „HILVE ist ein Fragebogen, der die methodischen Kriterien für eine breite Palette von Veranstaltungsarten erfüllt.“ Viele Universitäten orientieren sich an den Standards, die das „Heidelberger Inventar zur Lehrveranstaltungsevaluation“ gesetzt hat.

Dieser Test nimmt Lehre und Lehrqualität in Vorlesungen und Seminaren aus Sicht der Studierenden – und falls gewünscht, aus Sicht von Lehrenden, Beratern oder Hochschuldidaktikern – unter die Lupe. Hilve entstand in den Jahren 1992 bis 1994. Die erste Version wurde an sechs Hochschulen bei knapp 25.000 Studierenden sozialwissenschaftlicher, sprachwissenschaftlicher und medizinischer Fächer sowie in verschiedenen anwendungsnahen Fächern der Fachhochschulen eingesetzt. Hilve-II, eine weiterentwickelte Version aus dem Jahr 1998, wurde von über 7.000 Studierenden an Universitäten, Fachhochschulen und privaten Ausbildungsinstituten in Deutschland, Österreich und der Schweiz in den Fachrichtungen Psychologie, Architektur, Logopädie, Sozialwesen, Medizin, Pädagogik und Theologie verwendet.

Mit diesem Fragebogen, so Rindermann, einer der Hilve-Entwickler, stehe ein gutfunktionierendes Evaluationsinstrument zur Verfügung. „Es kann in allen Fachbereichen eingesetzt werden, abgesehen vielleicht von speziellen Seminaren, in denen etwa Ratten seziert werden.“ Wenn die Lehre evaluiert wird, spielt das jeweils spezifische Fach des Dozenten eine geringe Rolle, die Wissensvermittlung steht im Fokus. Daher macht es keinen großen Unterschied, ob Geistes-, Naturwissenschaftler oder andere Akademiker überprüfen, wie gut sie dabei sind. Die Kernfragen bleiben die gleichen. Die Option, Fragenbereiche zu ergänzen, die fachbezogen sind, besteht auch.

Ein guter Fragebogen muss vor allem zwischen den Einflüssen differenzieren, die sich auf die Qualität der Lehre auswirken: Neben dem Dozenten haben auch die Studenten ihren Anteil am Gelingen einer Lehrveranstaltung. Beide Seiten arbeiten unter Rahmenbedingungen, die ebenfalls erfasst werden sollten. Erst vor diesem Hintergrund lassen sich die Effekte guter Lehre beurteilen. Dozenten müssen aus den Ergebnissen der Befragung ablesen können, wie sie bei den Schlüsselqualifikationen abgeschnitten haben. Dazu gehören laut Rindermann: eine klare Strukturierung des Stoffs; verständliches Erklären; engagiertes Vorbild zu sein und zu motivieren; freundlich und kooperativ zu sein; den Stoff zu durchdenken, zu reflektieren und zu begründen; studentische Beiträge adäquat zu moderieren und zu betreuen.

Rindermann gibt aber auch zu bedenken: „Ergebnis der bisherigen Effektivitätsforschung zur Lehrevaluation ist, dass reine Übermittlung von Resultaten die Lehre nicht ausreichend verbessert.“ Notwendig sind zusätzlich Interpretationshilfen und Beratung. Für Hilve-II wurden diese entwickelt. Dozenten können sie auf Wunsch bei der Rückmeldung der Ergebnisse nutzen oder einen Berater heranziehen.