AFROATLANTISCHE PASSAGEN :
■ Aziza Brahim: Soutak (Glitterbeat)
Stimme der Sahrauis
„Wie viele Gefangene befinden sich in deinen Zellen, wie viele wurden entführt oder sind durch deine Hände verschwunden?“, klagt die Sängerin Aziza Brahim den marokkanischen König an. Die 37-Jährige zählt zu den Sahrauis, den Bewohnern der seit 1975 von Marokko okkupierten Westsahara. Aufgewachsen in einem Flüchtlingslager in Algerien, lebt sie seit 2000 in Spanien im Exil. Die akustischen Arrangements des US-amerikanischen Gitarristen und Tamikrest-Produzenten Chris Eckman lassen viel Raum für ihren glockenhellen, würdevollen Gesang. Die traditionellen Haul-Rhythmen auf der Handtrommel Tabal knüpfen den erdigen Teppich, auf dem der Gitarrist Kalilou Sangare aus Mali spanische und westafrikanische gefärbte Melodien ausbreitet.
■ Seun Kuti: A long way to the Beginning (Knitting Factory)
Im Namen des Vaters
Fela Kutis jüngster, 1983 geborene Sohn Seun hat von seinem Vater nicht nur dessen Band, sondern auch seine politische Kämpfernatur geerbt. Zeitgemäß setzt er sich für Frauenrechte oder Occupy in Nigeria ein, und im Opener seines neuen Albums übersetzt er „IMF“, das Kürzel für den Internationalen Währungsfonds, mit „International Mother Fucker“. Auch das bewährte Afrobeat-Rezept aus Jazz, Soul, Funk und westafrikanischer Polyrhythmik hat er sachte modernisiert, die Rap-Parts von M1 (Dead Prez) fügen sich gut in die hektischen Bläsersalven und High-Speed-Percussion ein. 17 Jahre nach Felas Tod ist Afrobeat so lebendig wie nie. Seun Kuti aber verweist alle Adepten auf die Plätze und zeigt: Die Original-Lokomotive hat noch viel Dampf.
■ Verschiedene: Beyond Addis (Trikont)
Addis à gogo
„Es ist gut für das Herz“, sagt Bill Murrays Nachbar im Film „Broken Flowers“ über die Musik von Mulatu Astatke, der in den 70er Jahren die Pentatonik und Polyrhythmik Äthiopiens mit Jazz und Funk vermählte. Jim Jarmushs Soundtrack hat diesem „Ethio Jazz“ eine neue Fangemeinde eingebracht. Auf seiner Compilation „Beyond Addis“ hat der Münchner Gitarrist JJ Whitefield jetzt eine Reihe von Bands versammelt, die – wie er selbst – dem Vibe von „Swinging Addis“ verfallen sind. In Paris, London und New York finden sich heute Nachahmer, die diesem zauberhaften, betörend fremdartig und doch vertraut klingenden Instrumental-Sound huldigen. Orte und Zeiten verschwimmen, wenn sich funky Bläser, Wah-Wah-Gitarren, psychedelische Orgeln und entrückte Saxofone im entspannten Orient-Groove wiegen. Addis à gogo.
■ Garifuna Collective: Ayo (Exil Music)
Abschied vom Freund
Wie kein anderer hat der Musiker Andy Palacio im zentralamerikanischen Staat Belize zu einem Revival der Garifuna-Kultur beigetragen. Die Garifuna sind eine afrokaribische Minderheit, die aus der Vermischung von indigenen Völkern mit entflohenen Sklaven entstand. Als Andy Palacio vor fünf Jahren im Alter von 47 überraschend starb, war das ein Schock für Belize. Das Garifuna Collective ist ein loser Verbund ehemaliger Mitglieder seiner Band, die sein Andenken bewahrt. Ihr Album „Ayo“ ist mehr als nur ein Abschiedsgruß an den einstigen Freund und Mitstreiter, sondern auch ganz aktuell. Denn auf geschmeidigen Gitarrenriffs und tänzelnder Percussion schwingt stets Gesellschaftskritik mit: „Gudemei“ ist ein Stoßgebet gegen die Armut, „Aganba“ warnt vor der Ausbreitung von Aids. Und in „Pomona“ hallt das Echo der Arbeitsmigranten wieder, die es als Erntehelfer aus Nachbarländern wie Honduras auf die Zitronenplantagen von Belize verschlagen hat. DB