: „Sie verhalten sich riskant“
BILDUNG ExpertInnen diskutieren eine Gesundheitsförderung speziell für Jungen
■ 54, Referentin für Umweltbildung sowie kinder- und jugendpolitische Sprecherin der Grünen-Bürgerschaftsfraktion.
taz: Frau Blömeke, bedeutet Junge sein, ungesund zu leben?
Christiane Blömeke: Man kann zumindest sagen, dass das angeblich starke Geschlecht ein Leiden hat. Ich würde nicht pauschal von ungesund sprechen, aber Jungen und junge Männer haben im Bereich Gesundheit ein Thema.
Wie würden Sie das beschreiben?
Aus den Statistiken wissen wir, dass 80 Prozent der Männer nicht an Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen. Und das Thema Aufmerksamkeitsdefizit spielt bei wesentlich mehr Jungen eine Rolle als bei Mädchen. Bei den Todesursachen von 15- bis 20-jährigen Jungen sind es bei 57 Prozent Unfall oder Suizid. Ich glaube, dass sich Jungen als Reaktion auf Ängste, die das Bildungswesen oder gesellschaftliche Zwänge hervorrufen, riskant verhalten.
Das heißt, wir sprechen nicht über das Risiko, aus Abenteuerlust vom Baum zu springen.
Das ist eine andere Frage: Wann darf ein Junge ein Junge sein? Da kommen wir zu der alten Thematik, dass Jungen in der Kindheit fast nur von Frauen umgeben sind. Wir haben einen hohen Anteil von Alleinerziehenden, da leben die Jungen oft bei der Mutter und in Kita und Grundschule arbeiten vor allem Frauen. Da fehlt oft das Verständnis, dass die Jungs auch mal vom Baum springen oder sich prügeln.
Welche Erwartungen an Jungen lösen Angst oder Druck aus?
Es gibt immer noch in vielen Familien das Bild von Männern als dem starken Geschlecht, das keine Schwäche zeigt und Ernährer ist. Gleichzeitig wird erwartet, dass sie das Baby wickeln, kochen, waschen.
Lässt sich dieser Druck verringern?
Ich glaube, dass es wichtig ist, in der Familie anzufangen. Wir müssen den Eltern mehr Zeit für ihre Kinder geben – und nicht nur die Betreuungssysteme passend machen für die Wirtschaftsinteressen. Zeit, in der die Jungen ihre Väter als geschlechtsspezifisches Vorbild erleben können.
Und gesellschaftlich?
Es gibt bundesweit 17 Frauengesundheitszentren – warum gibt es keine für Männer? Ich fände Jungen-Gesundheitstage in der Schule sinnvoll. Und all das darf nicht auf Kosten der Arbeit für Mädchen und Frauen gehen. INTERVIEW: GRÄ
„Jung – männlich – ungesund?“. Podiumsdiskussion mit Christiane Blömeke, dem Gesundheitsexperten Thomas Altgeld (Hannover), der Melanie Leonhard (SPD) und Markus Plesner (Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung): 18 Uhr, Gesundheitszentrum St. Pauli, Seewartenstraße 10