Zuverdienst wackelt

Richten sich Arbeitslose mit Minijobs ein? Koalition berät über strengere Anrechnung von Zuverdienst auf Hartz IV

BERLIN taz ■ Es ist eine schwierige Gerechtigkeitsfrage, über die eine Koalitionsarbeitsgruppe zur Arbeitsmarktpolitik heute berät: Geben sich zu viele Erwerbslose mit Hartz IV plus Nebenjob zufrieden? Bemühen sie sich gar nicht mehr um Vollzeittätigkeit?

Hartz-IV-Empfänger dürften sich nicht mit dem Bezug von Arbeitslosengeld II (ALG II) und einem kleinen Zuverdienst einrichten, hatte Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) kürzlich gemahnt und dabei erklärt, er könne sich vorstellen, dass die ersten 200 Euro Nebenverdienst eines Hartz-IV-Empfängers künftig voll auf die Sozialleistung angerechnet werden. Arbeitsmarktexperten der Union schlagen noch strengere Anrechnungsregeln vor.

Was sich auf den ersten Blick nur wie ein Detail ausnimmt, berührt grundlegende Gerechtigkeitsfragen – und hätte für fast eine halbe Millionen Betroffene empfindliche Einkommenseinbußen zur Folge. 460.000 Empfänger von ALG II bringen einen Hinzuverdienst von bis zu 400 Euro monatlich nach Hause. Vom Geld für einen 400-Euro-Minijob dürfen sie rund 160 Euro behalten, zusätzlich zu Hartz IV macht dies inklusive der Mietübernahme ein Nettoeinkommen von 800 Euro im Monat aus – und das für nur 16 oder 18 Wochenstunden Arbeit.

Sozialexperten bemängeln daher, dass der Anreiz, sich einen Vollzeitjob zu suchen, für diese Erwerbslosen zu gering sei. Völlig von der Hand zu weisen ist dieser Vorwurf nicht, schaut man sich einen Sonderbericht der Bundesagentur für Arbeit an, der Zahlen vom vergangenen Herbst verarbeitete. Darin finden sich tatsächlich überproportional viele, nämlich gut 200.000 Hartz-IV-Empfänger, die einen Hinzuverdienst von nur 100 bis 200 Euro monatlich angeben: Genau bei dieser Summe waren die Anrechnungsregeln besonders günstig.

Von vielen Hartz-IV-Empfängern ist aber auch anzunehmen, dass sie aufgrund der Arbeitsmarktlage und ihrer Qualifikation gar nichts anderes mehr finden als einen Minijob. „Gerade Alleinerziehende beispielsweise, die nur einen Nebenjob ausüben können, wären von einer strengeren Anrechnung des Hinzuverdienstes besonders betroffen“, rügt der sozialpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Markus Kurth.

Kurth weist darauf hin, dass die Hinzuverdienstgrenzen ja schon mal erst abgesenkt und dann wieder angehoben worden waren, um die Motivation der Erwerbslosen, sich wenigstens einen Nebenjob zu suchen, zu stärken. Inzwischen allerdings gingen Berichte durch die Medien, wonach etwa Einzelhandelsfilialen im Osten Vollzeitjobs abgebaut und auf Minijobs umgestellt hätten, weil es ja genug Hartz-IV-Empfänger vor Ort gebe, die sich mit dem Zuverdienst genauso gut stellten wie ein Verkäufer in Vollzeit.

Kurth glaubt, dass solche Gerechtigkeitsfragen „praktisch nicht lösbar sind“. Deswegen müsse man auch bei den Mitnahmeeffekten lieber „eine Dunkelziffer hinnehmen“ als neue Opfer schaffen, deren ohnehin geringes monatliches Einkommen durch neue Beschlüsse gesenkt würde.

Die SPD weiß, wie heikel die Frage ist. Heute sollte in der Arbeitsgruppe eigentlich ein Beschluss zum Hinzuverdienst fallen, jetzt aber heißt es, möglicherweise werde Minister Müntefering erst „Ende November, Anfang Dezember“ Konkretes zu den neuen Regelungen verkünden. BARBARA DRIBBUSCH