: Das Scheitern der Bilder
Was muss eine Ausstellung über den Konflikt zwischen Israel und Palästina abzubilden versuchen? Das Projekt in Krefeld scheint an der Realität zu scheitern und ist doch ein Spiegel der Wirklichkeit
VON KATJA BEHRENS
Die schwierige Beziehung zwischen Israel und Palästina ist Thema der sehenswerten Ausstellung „Wanderland“ im Krefelder Museum Haus Lange. Hier sind Foto- und Videoarbeiten versammelt, die das ständig bedrohte Leben einer zerrissenen Bevölkerung in einem zerrissenen Land von innen und außen beleuchten, recherchieren, dokumentieren – und die doch nur einen kleinen Ausschnitt der komplizierten Wirklichkeit wiederzugeben in der Lage sind. Schade und zugleich symptomatisch ist das nahezu vollständige Fehlen palästinensischer Künstler. So ist die Ausstellung „Wanderland“ auch deshalb so wahr, weil in der Verweigerung der palästinensischen Künstler ein schmerzhaftes Stück Wirklichkeit zum Ausdruck kommt.
Die vielen unterschiedlichen, meist religiös fundierten Lebensentwürfe und Szenarien, denen die 14 Künstler allerorts begegneten, sind weniger bizarre Fußnote als Bestandteil einer heterogenen Gesellschaft, die Museumsdirektor Martin Hentschel schon seit Jahren beobachtet. Dazu gehört etwa der fundamentalistische Einheizer der jüdischen neofaschistisch-rassistischen Kach-Bewegung, dessen demagogischen Rap Avi Mograbi (geb. 1956 in Tel Aviv) gefilmt hat („Detail 4“, 2004). Oder auch die 1874 gegründete Enklave im ultraorthodoxen Jerusalemer Stadtteil Mea She‘arim, dessen altertümliches Leben die Fotografin Leora Leor (geb. 1952) in melancholischen Bildern in ihrer Serie „Wanderland“ schildert.
Doch auch wenn es viele eindrucksvolle Einblicke in den Alltag der Menschen gibt, wird eines bald deutlich: Der anhaltende Konflikt zwischen Israel und Palästina ist nicht objektiv abbildbar und jeglicher Versuch einer Näherung nur mit äußerster Vorsicht zu betrachten. Aber der Gestus des Dokumentarischen, der in nahezu allen Arbeiten erkennbar wird, legt nicht nur den Zweifel an deren Authentizität nahe, sondern ebenso die grundsätzliche Frage nach der Darstellbarkeit von Geschichte. Die Ahnung, dass und auf welche Weise etwa Architektur, Fotografie und Bildmedien zu taktischen Zwecken verfälscht und manipuliert werden, verdichtet sich in den Arbeiten Yaron Leshems („The Village“, 2002 oder „CNN Project“ 2005, einer fiktiven CNN-Live-Reportage) zu einem weitsichtigen Panorama. Und die Frage, die sich der palästinensische Künstler Taysir Batniji – dessen Videoprojektion und Diashow „Ohne Titel“ (Gaza 2001-2006) die einzigen palästinensischen Beiträge geblieben sind – stellt, ist eine Frage, die an nahezu jedes Werk der Ausstellung gerichtet werden kann: „Sind meine Bilder autobiographischer Bericht oder Porträt einer Stadt?“
Als Presseberichterstatter war der französische Fotograf Antoine D‘Agata 1999 in Gaza, im Oktober 2000 in Jerusalem, 2002 in Hebron, in Bethlehem, in Nablus und Ramallah, 2006 in Tel Aviv. Schon die bloße Nennung der Namen dieser Orte füllt uns mit bekannten Bildern. Und richtig: Bewaffnete junge Männer hinter dunklen Straßenecken, ausgebombte Häuser in sandig-trostlosem Umland, Schutt und Zerstörung, verbrannte Autos, ratlose und verzweifelte Menschen in Gruppen oder allein, schöne Frauen in schäbigen Räumen. Das Foto-Tagebuch D‘Agatas besteht aus vielen kleinen und größeren Bildern, die auch in ihrer Summe natürlich nur einen kleinen Ausschnitt der brutalen Wirklichkeit jener Lebenswelt beleuchten können. Aber sie geben uns die erschreckenden Bilder, die wir erwarten und längst zu kennen meinen.
Der Künstler selbst, der sich auf der Jagd nach Bildern im Häuserkampf in Ostjerusalem einer realen Gefahr aussetzt, ist sich der Zweifelhaftigkeit seines Tuns durchaus bewusst. „In einem unaufhörlich in Frage gestellten Gleichgewicht zwischen dokumentarischem Bemühen und unausweichlicher Subjektivität kann die Fotografie nichts anderes tun, als ihren Zusammenhang zur Realität und den Sinn, den diese Auseinandersetzung hervorbringt, zu überprüfen.“ So „bleibt die Bloßlegung der in ihrem Betrieb innewohnenden Widersprüche.“
Die stets mit großen Hoffnungen beladenen Verhandlungen um den Friedensprozess zwischen Israel und Palästina sind immer wieder gescheitert an der einseitigen Schaffung von Fakten, an der Verweigerung der einen oder der anderen Seite, an der Unfähigkeit zu Zugeständnissen und Kompromissen und – vor allem – an der komplizierten Realität. Die Vorstellung, dass in einer Situation wie dieser der Künstler mehr tun kann als die Schrecken zu archivieren, dass er womöglich dem Alltag im Krieg eine neue Pointe abgewinnen, eine neue Sichtweise zur Seite stellen könnte und damit sogar einen Prozess einzuleiten oder anzuregen imstande wäre, muss sich vermutlich auch hier als naiver Idealismus erwiesen. Dennoch. „Stundenlanges Herumstehen an Checkpoints schärft das Bewusstsein dafür, was auf der anderen Seite vor sich geht.“
Bis 11.2.2007