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Archiv-Artikel

DIE KARIBIK IST KEIN LEICHTES PFLASTER FÜR DIE EHEMALIGEN KOLONISTEN AUS EUROPA Entschädigung für jahrhundertelange Sklaverei

VON ULLI DILLMANN

Die Distanz zwischen Santo Domingo und Frankfurt am Main beträgt genau 7.640,39 Kilometer, ein weiter Weg und zehn Stunden Flug. Wer von der dominikanischen Hauptstadt startet, hat schon nach zwanzig Minuten die Ostküste der Insel hinter sich gelassen. Für viele Einwohner endet dort auch die Welt. Europawahl. „Wo“, fragt der Kellner, der mir täglich meinen Nachmittagsespresso serviert. Und er ist nicht der Einzige.

Auch die politischen Kommentatoren befassen sich mit Europa nur, wenn von dort Kritik an dem Verfassungsgerichtsbeschluss gibt, Dominico-Haitianern nachträglich die Staatsbürgerschaft abzuerkennen. Schließlich will man sich von den ehemaligen Eroberern aus dem fernen Osten nicht vorschreiben lassen, wie Einwanderungspolitik gehandhabt wird: Europa will auch keine „Zigeuner“ und Afrikaner, heißt es dann. Entsprechend leise treten europäische Vertreter auf dem hiesigen diplomatischen Parkett auf.

Trotzdem machte Europa kurzfristig mal wieder Schlagzeilen: als Region, aus der Touristen ins Land kommen. Erstmals seit einem Jahrzehnt liegen die Wachstumsraten bei den europäischen Karibikurlauber höher als bei den Nordamerikanern, Deutschland legt in einem Monat mehr als 25 Prozent zu.

Aber die Dominikanische Republik steht mir ihrer insularen Ignoranz gegenüber Europa nicht allein da. Allenfalls in den französischsprachigen Medien der Übersee-Départements Guadeloupe und Martinique wird die Wahl thematisiert. Die Commonwealth-Staaten stehen dabei den ehemaligen französischen Kolonien in nichts nach. Trotz des Desinteresses für die ehemaligen Kolonialisten aus Europa, ihre Wahl und ihre politische Entwicklung stand für die Länder der Karibik (Caribbean Community, Caricom) bei ihrer Tagung Mitte April in Kingstown, der Hauptstadt des Inselstaats St. Vincent und die Grenadinen, Europa auf der Tagesordnung.

Die 15 Mitgliedstaaten und die fünf assoziierten Länder wollen eine Entschädigung für die Jahrhunderte unter der kolonialen Knute. Auf der Apriltagung stimmten die Premierminister einmütig einem Zehnpunkteplan zu, von Großbritannien, Spanien, Frankreich, den Niederlanden und Portugal Entschädigung für die jahrhundertelange Sklaverei zu fordern. Außerdem soll sich Europa für seine Sklavenpolitik öffentlich entschuldigen und einigen Karibikstaaten die Schulden streichen. Auch Dänemark steht auf der Liste der Beschuldigten – und Deutschland müsste auch draufstehen, schließlich haben Handelshäuser aus Augsburg und Nürnberg die Eroberung Amerikas mitfinanziert und sich ihre Investition versilbern lassen.

„Wir haben das Recht auf unserer Seite“ betonte der Premierminister von St. Vincent und derzeitige Präsident der Caricom, Ralph Gonsalves. Erste Gespräche sind für Juni terminiert. Erst dann will Caricom den finanziellen Entschädigungsrahmen definieren. Vielleicht kommt dadurch die Karibik auf die europäische Tagesordnung.