Die Langsamkeit des Pinsels

Ein Maler sieht anders als ein Fotograf, denn er muss länger vor Ort bleiben: Der New Yorker Steve Mumfords aquarellierte für sein „Bagdad Journal“ das alltägliche Drama der besetzten Stadt

VON BRIGITTE WERNEBURG

Merkwürdig. Zunächst glaubt man in Steve Mumfords „Bagdad Journal – Bilder aus dem besetzten“ Irak“ überdurchschnittlich guten Fotojournalismus zu sehen, bevor nach ein paar Seiten auffällt: Bei den Bildern handelt es sich gar nicht um Fotos, sondern um Aquarellzeichnungen! Mumford ist Maler und lebt in New York. 2003 kam ihm der Gedanke, dass es doch interessant wäre, im besetzten Irak nicht nur zu fotografieren, sondern auch zu zeichnen. Also bat er das Online-Kunstmagazin artnet.com um einen Presseausweis. Damit flog Mumford nach Kuweit, von wo aus er sich nach Bagdad durchschlug.

Um vor Ort zu zeichnen, benötigt man mehr Zeit als zum Fotografieren. Mumford fiel in Bagdad also auf, und sobald er sich hinsetzte und zu zeichnen begann, scharten sich die Zuschauer um ihn, die mit ihren Kommentaren Anteil am Entstehen des Bildes nahmen. Die Langsamkeit des Zeichnens verbot es Mumford weitestgehend, direkt kriegerische Aktionen festzuhalten. Stattdessen lag es nahe, den Alltag der Besatzer wie der Besetzten zu dokumentieren, der Kinder, der Soldaten, der Teeverkäufer und Backgammon-Spieler wie der Journalisten.

Mumfords meist schwarzweiße, manchmal auch farbige, immer aber gekonnte Aquarelle zeigen also Szenen, wie sie viel zu selten zu sehen sind; Szenen, die erst das notwendige Gefühl für den Alltag im Irak vermitteln, um die Dramatik der täglichen, grausamen Nachrichtenbilder wirklich zu begreifen. Natürlich ist der Alltag von Krieg und Besatzung geprägt. Ausgebrannte Panzer und Geschütze, Sandsäcke als Schutz gegen Granatsplitter, Einschusslöcher in den Häusern erinnern an die Schlacht um Bagdad, während US-amerikanische Patrouillen Ambulanzen oder Einsatzfahrzeuge der Polizei die kriegerische Gegenwart bewusst machen. Weil aber die Menschen versuchen, ihr Leben so gut es geht weiterzuleben, ist der Alltag oft überraschend normal, wie Mumford in seinem Tagebuch notiert. Diese Notizen entwickeln sich über die Dauer von zwei Jahren – seiner ersten Reise in den Irak 2003 folgten ein Jahr später noch drei weitere Aufenthalte – zu einem eigenen kritischen Report eines Patrioten, den der Ansehensverlust seines Landes erkennbar schmerzt.

Damit ragt Mumfords „Bagdad Journal“ unter den sonstigen visuellen wie literarischen Zeugnissen über den Irak nach dem Ende von Saddam Hussein heraus. Wenige Dokumente dürften seine aufklärerische Qualität erreichen, die es dem subjektiven Charakter seiner Bilder und Notizen verdankt.

Steve Mumford: „Bagdad Journal – Bilder aus dem besetzten Irak“. Carlsen Verlag, Hamburg 2006, 191 S., 38 Euro