„Wer bin ich hier?“

ADOLESZENZ In der Sendung „Willi wills wissen“ war Willi Weitzel das große Kind des Fernsehens. Jetzt ist er erwachsen geworden und spricht über Alkohol, Bärte und seine Patchworkfamilie

■ Der Mensch: Helmar Willi Weitzel wurde 1972 in Hessen geboren, nach dem Abitur begann er ein Theologiestudium, wechselte dann aber zu einem Lehramtsstudium. Über ein Radiopraktikum und ein Casting kam er zum Kinderfernsehen.

■ Die alte Sendung: Für „Willi wills wissen“ drehte Helmar Willi Weitzel seit Ende 2001 insgesamt 180 Folgen. Sie werden weiterhin auf dem Kinderkanal und den dritten Programmen ausgestrahlt.

■ Eine neue Sendung: Am 6. Januar zeigt das ZDF um 11.05 Uhr die erste Folge der Reihe „Ein guter Grund zum Feiern“, in der Helmar Willi Weitzel in Zehnminütern christliche Feiertage erklärt.

INTERVIEW LUISE STROTHMANN

taz: Herr Weitzel, wir wollen über das Erwachsensein sprechen. Wann haben Sie zum letzten Mal betrunken in ein Klo gekotzt?

Helmar Willi Weitzel: Als wir vorher telefoniert haben, habe ich gedacht: Oh Gott, die will übers Erwachsensein reden, was heißt das überhaupt? Aber natürlich hat meine private Situation viel mit meiner Arbeit zu tun. „Willi wills wissen“ ist eine sehr egozentrische Sendung, ich bin in jedem Bild, es geht um meine Wesensart. Und als ich angefangen habe, war ich 28. Jetzt bin ich gerade 38 geworden.

Das beantwortet die Klofrage nicht.

Also ehrlich gesagt, ich möchte darüber nicht reden, ich hatte vor Kurzem einen Magen-Darm-Virus. Außerdem ist das doch eher pubertär.

Aber Sie haben eine Pubertät gehabt?

Klar, ich bin ganz normal aufgewachsen. Ich bin mit 28, wo andere Leute heiraten und schon drei Kinder gezeugt haben, selbst nochmal ein Kind geworden.

Und Sie trinken auch Alkohol?

Natürlich gehen wir nach den Dreharbeiten auch mal ein Bier trinken. Wenn Leute sagen: Wie hältst du diese Verantwortung aus, du kannst es nie nachts in der Kneipe mal richtig krachen lassen. Dann sag ich: Erstens hab ich’s wohl vor „Willi wills wissen“ so oft krachen lassen, dass ich’s jetzt nicht mehr unbedingt brauche, und zweitens versuche ich, ganz normal zu sein, und dann ist es auch normal, dass der Papa mal ein Bier trinkt.

Weiter im Test. Schon mal Presseclub geguckt?

Ist das sonntags um zwölf Uhr, wo dann der ARD-Chef sitzt?

Manchmal Volker Herres, der ARD-Programmdirektor, ja. Der Inbegriff des Erwachsenenfernsehens. So langweilig, dass Kinder sofort abschalten. Ich schau so wenig Fernsehen.

Okay. Wie sieht es mit Bodenvasen aus, haben Sie eine?

Ich hatte mal eine! Aber die wurde abgeschafft, als meine Tochter angefangen hat zu krabbeln.

Aber ich habe gehört, Sie lesen Erziehungsratgeber – das ist sehr erwachsen.

Ja, das stimmt. Ich bin als Vater in den letzten zweieinhalb Jahren ein ganzes Stück erwachsener geworden. Dieses „Ich bin auf der Seite der Kinder“ funktioniert nicht mehr. Ich habe die Seite gewechselt. Aber in der Öffentlichkeit verkörpere ich dieses Bild: Das ist ein großes Kind.

Deshalb stellt man Ihnen in Interviews immer Kinderfragen?

Manche Leute schätzen mich vielleicht wirklich so naiv ein und denken: Dem stell mal nur ganz simple Fragen. Andererseits können auch Erwachsene, wenn es um so eine Sendung wie „Willi wills wissen“ geht, auf gewisse Weise wieder zu Kindern werden. Sich darauf einlassen. Wie Jugendliche, die auf dem Schulhof schon nach den Mädchen schauen, aber wenn ihnen zu Hause die Mama Schnittchen zum Sofa bringt, Kinderfernsehen gucken.

Würden Sie den Satz „In mir schlägt das Herz eines Achtjährigen“ heute noch sagen?

Nein, der funktioniert nicht mehr. Was ich unterschreiben würde, ist, dass ich immer bemüht bin, authentisch zu sein. Und mit 28 und der Möglichkeit, Hunderte von „Willi wills wissen“-Sendungen zu machen und Bagger zu fahren und Pilot zu spielen, da klopfte einfach dieses Herz so. Aber das habe ich jetzt alles ausprobiert.

„Willi wills wissen“ erklärt Themen so wie die „Sendung mit der Maus“. Ist dieser Satz eine Beleidigung?

Ich bin immer stolz, in einem Atemzug mit der „Sendung mit der Maus“ genannt zu werden. Aber wenn es zum Beispiel um eine Maschine geht, wo Muttern für Schrauben gedreht werden, schaut sich der Armin von der „Sendung mit der Maus“ …

Armin Maiwald …

… genau das Gewinde an. Ich bin nicht so der Techniker. Ich sage zu dem Mann an der Maschine: Na komm, jetzt erzähl mal, es wird doch auch langweilig nach zwanzig Jahren jetzt hier?

Anfang dieses Jahres haben Sie angekündigt, keine neuen „Willi wills wissen“-Sendungen zu produzieren und eine längere Pause zu machen. Ab Januar erklären Sie jetzt christliche Feiertage im ZDF.

Die Sendung ist eines von mehreren Projekten. Margot Käßmann erklärt die evangelischen Feiertage, ich die katholischen. Es sind zehnminütige Stücke. Ich liebe ja diese Umfragen, wo jemand fragt: Morgen ist Ostern, was wird da gefeiert? Und die Leute sagen: Ist das nicht die Geschichte mit dem Osterhasen?

Weil Sie mal katholische Theologie studiert haben?

In dieser Zeit, mit 23, hatte ich einen Hörsturz. Ich lag im Krankenhaus am Tropf und dachte: Das ist es, ich muss das Evangelium verkünden. Dann habe ich beim Studentenradio in München das religiöse Morgenmagazin gegründet – und dann gemerkt: Das bin ich nicht.

Und diesmal sind Sie’s?

Die Sendung ist nicht frömmelnd, eher informierend. Und ich mache sie als Helmar Willi Weitzel, das ist ganz wichtig für mich.

Warum?

Ich heiße Helmar Rudolf Willi Weitzel. Meine engsten Freunde sagen Helmar zu mir. Bei der Grimme-Preis-Verleihung wurde ich als Helmar Weitzel aufgerufen und nicht als der Willi. Und auf einmal habe ich mich gefragt: Wer bin ich hier?

Ist Willi eine Rolle geworden?

Das war mal eine Facette von mir und wurde dann zu einer Rolle. Ich muss mich tatsächlich anziehen und sagen: Jetzt bin ich der Willi. Der Willi ist halt ein bisschen mutiger. Der fragt einen Politiker: Was sagt Ihre Frau, wenn Sie die ganze Zeit unterwegs sind als Außenminister? – Ich hab doch gar keine Frau, ich hab einen Mann! – Aha, wieso das? Und wenn ich den privat treffen würde, wäre ich vielleicht nicht so mutig.

Was würde denn Helmar Weitzel den Außenminister fragen?

Wenn ich als Reporter auftrete, hat die Frage ja auch immer mit dem Publikum zu tun. Als privater Helmar wäre sie vielleicht einfach: Na, wie geht’s? Ich bin ja kein Politjournalist.

Lieber so ein Cooler von den Radioleuten?

Ich wollte eigentlich Radiomoderator werden. Als Praktikant beim Kinderprogramm des Bayerischen Rundfunks bin ich abends dann immer rübergegangen zu Bayern 3, wo die Coolen waren, habe mich vor die Scheibe gesetzt und diesen Moderatoren zugeguckt. Aber ich bin halt nicht cool.

Hatten Sie bei „Willi wills wissen“ Angst, dass jemand merkt, dass Sie das nicht mehr sind?

Nein. Ich habe gespürt, hier tut sich was bei mir. Und ich kann dieses Authentische nicht weiter gewährleisten.

Ist das nicht total anstrengend, immer authentisch sein zu müssen?

Total, ja! Das ist für mich die größte Drucksituation, weil da ja auch jeder immer gerne drüber schreibt. Dieser Mann ist so authentisch! Also „Mann“ wird nicht so oft geschrieben, aber „authentisch“ umso öfter.

Ihre Männlichkeit wird Ihnen öfter mal abgesprochen. Ihre Heterosexualität auch.

Meine Funktion im Fernsehen ist es, für ganz viele Menschen einen Traum zu erfüllen. Viele Männer sitzen auch auf dem Sofa und sagen dann auf der Straße zu mir: Das war aber echt gut, wie du da getaucht bist!

Klingt nach Rechtfertigung. Ficht Sie der Weicheivorwurf an?

„Ich habe wirklich keine Lust, mich zum Opferlamm zu machen und ewige Jugend zu schwören“

Wir sind doch schon eine metrosexuelle Gesellschaft, wo es cool ist, wenn man erzählt, dass man Angst vor Spinnen hat. Ich bin einfach ein Mensch, der minimalpolarisiert. Weil viele denken: Ach, das ist so nett, das macht er für die Kinder. Aber ich bin auch ein harmoniebedürftiger Mensch. Ich ecke nicht gern an.

Werden Sie manchmal beschimpft?

Das gibt es so einmal im Jahr, dass sich da so eine Peergroup aufschaukelt. So Superpubertierende, die sagen: Oh Mann, Willi, du bist so kindisch. Dann denke ich, das müssen die jetzt machen, die müssen sich jetzt abgrenzen zu ihrer Kindheit. Und dann bin ich halt mal das Bild dafür.

Und dass Sie täglich dutzende Kinder beim Spazierengehen ansprechen, nervt das?

Mich stört’s nur auf dem Spielplatz, wenn ich nicht mit meiner Tochter in Ruhe spielen kann und sie irritiert ist, weil so viele Leute was von mir wollen. Aber wenn mich in Zukunft ein Kind auf der Straße fragt, dann möchte ich auch nicht sagen: He, pass mal auf, Willi – das habe ich an den Nagel gehängt. Ich werde nach wie vor da sein. Aber genau das Gleiche zu machen, das geht einfach nicht. Einfach weil ich älter werde.

Was hat sich verändert?

Ich habe mir im letzten Jahr schon einmal drei Monate Auszeit genommen und bin von München nach Venedig über die Alpen gegangen. Und habe mir die Welt von oben angeschaut. Jetzt, in diesem Jahr, habe ich mir einfach viel Zeit genommen, um wieder zu meinem inneren Kern zu kommen, meinem Bauchgefühl.

Hatten Sie das verloren?

Zu mir kommen die ganze Zeit Leute von außen mit Vorschlägen, was für mich gut wäre. Davon will ich mich mal frei machen und überlegen: Was ist denn mein Herzensanliegen? Ich habe ja nur noch die Hälfte meines Lebens vor mir. Ich sehne mich nach dem Gefühl, das ich hatte, als es hieß: Wir machen „Willi wills wissen“. Da war so eine richtige Magie drin.

Nur noch die Hälfte meines Lebens – klingt nach Midlifecrisis.

Statistisch gesehen werden die Männer in Bayern 74 Jahre alt. Das heißt, ich habe die Hälfte gelebt. Aber wenn ich in der Midlifecrisis wäre, würde ich jetzt als Erstes zu dem Kellner sagen, das, was hier ich eben bekommen habe, ist kein Earl Gray, sondern normaler schwarzer Tee. Das wäre das erste Männlichkeitsritual.

Wenn Erwachsene immer jugendlich sind, kann es gar keine Jugendlichen mehr geben.

Deswegen sind meine grauen Haare auch immer grau gewesen, hier an den Seiten. Ich habe keine Lust, mich zum Opferlamm zu machen und ewige Jugend zu schwören und dann mit sechzig, wenn ich mal im Krankenhaus liege und mir nicht die Haare färben kann, festzustellen, dass sie schlohweiß sind. Ich möchte einfach in Würde altern.

Sonst irgendwelche Leiden? Rücken?

Nein, nur ein paar Wurzelbehandlungen. Und die Geheimratsecken werden immer größer.

Demnächst Vollbart?

Bei mir wächst das nicht so richtig, der wird nicht so dicht – da wächst hier was und da wieder nicht. So von Kotelette zu Kotelette wie der Kuranyi, das wird nichts.

Kein Bart also – dennoch in Zukunft eher das väterliche Rollenfach?

Ich glaub, das kann eine Facette sein. Ich habe das gemerkt, als ich jetzt „Peter und der Wolf“ aufgenommen habe. Auf der DVD lauf ich in Willi-Manier durchs Orchester und erkläre Instrumente. Und dann gibt es die Geschichte. Dadurch, dass ich das ganz oft zuhause erzähle, merke ich, wie ich da eher in dieser Rolle des väterlichen Erzählers bin.

Ihr nächstes Projekt?

Ein Fernsehprojekt. Mein richtiges Talent kann ich nur dort vor der Kamera entfalten. Ich hoffe, das klingt nicht schon wieder zu narzisstisch. Ich möchte meine Zielgruppe behalten und die Eltern mit ins Boot holen. Und ein bisschen dazu beitragen, das Familienevent im Wohnzimmer wieder stärker zu prägen. Wir wollen die Idee nächstes Jahr umsetzen.

Sind Sie dann wieder ein Wochenendvater?

Ich bin nicht zusammen mit der Mama meiner Tochter. Wir teilen uns das sozusagen, wir haben ein ausgeklügeltes Patchworksystem. Zwei Monate haben wir Weihnachten geplant – die große Herausforderung.

Der Termin, wo Kinder getrennter Eltern, wenn sie älter werden, versuchen, zu Freunden zu gehen.

Wir haben uns gedacht, wenn es so schwierig ist, sich in das System einzufügen, müssen wir vielleicht ein neues System schaffen. Deshalb feiern wir kurz vor dem 24. unser Patchwork-Weihnachten zu fünft. Mit der Mama, mit ihrem Freund und mir – mit meiner Freundin und unserer Tochter. Ich finde es wichtig, dass man als Erwachsener sagen kann: Ach, Weihnachten war immer schön. Und nicht: Ich habe Weihnachten gehasst.

Als damals Ihre Beziehung auseinanderbrach – hat man Ihnen das in der Sendung angemerkt?

Nein, ich glaube nicht. Ich bin in einem Edeka-Markt groß geworden. Und wenn es bei uns Krach gab, dann gab’s den bis morgens um 8.15 Uhr, wenn der Laden aufging. Dann hat der Laden funktioniert und der Kunde war König. Und wenn der Laden zu war, dann ging der Familienalltag weiter.

Sie haben Show gelernt?

Ich bin so aufgewachsen. Laut meiner Mutter lag ich als Baby immer im Körbchen hinter der Theke. Einmal, so mit zwanzig, habe ich den Clown gemacht, um ein neues Produkt einzuführen, eine Schokolade. Da hab ich ein tolles Mädchen kennen gelernt und mich sofort in die verliebt. Und dann hat sie mir nachts einen Korb gegeben und ich bin morgens aufgewacht und habe gesagt: Papa, ich kann das heute nicht mit der Clownsnase und der Perücke. Ich bin gerade am Tiefpunkt meines Lebens.

Und was hat er gesagt?

Er hat geantwortet: Junge, du hast gesagt, dass du beim Radio arbeiten und da die Morningshow machen willst, da kannst du auch nicht sagen, ich hab heute schlechte Laune. Und dann bin ich raus und hab das gemacht – und hab dann am Abend geweint.

„Ich muss mich tasächlich anziehen und sagen: Jetzt bin ich Willi. Der Willi ist halt ein bisschen mutiger“

Erwachsen, zuhause zu weinen – und nicht vor der Kamera.

Eben. Und am Ende kommen in eine Sendung immer nur 25 Minuten aus zwei Tagen.

Und dass Sie jetzt auf dem Tisch herumkratzen und das Zuckertütchen über den Löffel stülpen – womöglich doch eine Inszenierung von Kindlichkeit?

Da auf dem Tisch war Wachs drauf, das habe ich gereinigt.

Und das Kinderpflaster auf Ihrem Handgelenk?

Meine Tochter gibt gerade all ihren Kuscheltieren Pflaster. Und ich hatte so einen Handgelenkschmerz und da hat sie gesagt: Da brauchst du ein Pflaster. Verstehen nur Väter, die ihre Töchter lieben.

Werden Sie Ihren Namen Helmar eigentlich in Zukunft mehr benutzen?

Das ist gut möglich. Aber komisch, wenn Leute mit zwanzig sagen: Du, ich möchte jetzt nicht mehr Jörgi heißen, sondern ich bin jetzt der Jörg. Ich bin einfach der Helmar Willi Weitzel.

Und wer wird dann dieser Rudolf?

Den habe ich mir für die Rente aufgehoben.

Und der moderiert dann „Tagesthemen?“

Nee, ich glaube, das braucht dann wieder so einen tiefen Entscheidungsweg. Vielleicht Pressesprecher.

Ja, Pressesprecher vom Flughafen haben Sie mal als Berufsalternative angegeben.

Das hat sich auch schon zerschlagen. Aber mich hat diese Welt interessiert.

Ausgelaufenes Kerosin, Klimaerwärmung und Sie sagen: Hallo, ich bin Willi, und das läuft hier alles total super.

Ich habe mir das immer eher so vorgestellt wie: Schauen Sie sich das an – der Papst ist gelandet. Der FC Bayern München ist gelandet – hier kommt die Trophäe.

Luise Strothmann, 25, sonntaz-Redakteurin, wollte Helmar Weitzel im erwachsensten Cafe von Berlin-Mitte treffen – als sie anrief, um ihn dorthin zu bitten, saß er schon dort