: Auf der Suche nach der Single zum Fest
Pünktlich zur Adventszeit versucht sich die Kölner Band Erdmöbel an einem Weihnachtshit – ein Genre, um das deutsche Popmusiker bisher immer einen sehr großen Bogen gemacht haben. Ausgerechnet eine deutsche Version von „Last Christmas“ soll uns nun bereit machen für die „echten Gefühle“
VON BARBARA BEHRENDT
Der künstliche Schnee ziert bereits die Schaufenster, bei Tchibo gibt’s neben Lichterketten in Schneeflockenform schon Hauspuschen und Wärmflaschen zu kaufen. Und während man bei Kaufhof gerade überlegt, welcher Schal Mutti am besten gefallen würde, berieselt einen durchgehend die weihnachtliche Geräuschkulisse immer gleicher Klassiker. „Rudolph, The Red-Nosed Reindeer“ läuft nach „Do They Know It’s Christmas“, vielleicht wimmert auch Michael Jackson noch ein pathetisches „Heal The World“.
Schon mal „Ihr Kinderlein, kommet“ beim Einkaufen gehört? Oder „Morgen kommt der Weihnachtsmann“? Deutsche Traditionsweihnachtslieder schaffen es nicht auf die Hitliste der deutschen Kaufhäuser, vermutlich weil man sie eher mit Weihnachten bei Oma in Verbindung bringt oder mit Heiligabendgottesdienst und Krippenspiel assoziiert – nicht sehr erbauend beim Weihnachtsshopping. Darüber hinaus fällt einem schlicht und ergreifend kein einziges Lied ein, das speziell für die Festtage komponiert wäre und damit dem Titel „deutscher Pop-Weihnachtssong“ gerecht würde. Haben deutsche Popmusiker denn gar nichts übrig für das wichtigste Familienfest?
„Wenn man ein Lied über Weihnachten machen will, muss man schon an die echten Gefühle ran“, meint Markus Berges, Sänger und Songwriter der Kölner Band Erdmöbel. Genau das will das lyrische Quartett dieses Jahr mit einer Weihnachtssingle versuchen – womit es im deutschen Sprachraum zunächst recht allein dasteht.
Ganz anders liegen die Dinge in den USA und in Großbritannien. „Heal The World“ oder das Duett von Robbie Williams und Nicole Kidman, „Somethin’ Stupid“ mögen für manche Hörer unerträglicher Kitsch sein, für die anderen sind es herzerwärmende und einträgliche Weihnachtsgeschenke – entsprechend der dortigen Charts-Tradition, den Fans einen einmaligen Weihnachtssong „zu schenken“.
Vor allem in Großbritannien ist die „Christmas No. 1“ die wichtigste Hitsingle des Jahres – ungefähr vergleichbar mit dem deutschen Sommerhit. Auch Philip Ginthör von der Plattenfirma Sony führt diesen Unterschied auf das spezielle „Verständnis angloamerikanischer Musiker“ von guter Unterhaltung zurück: „Auch beim Valentinstag verstehen es die Engländer und Amerikaner, geschickt Songs auf den Markt zu bringen.“
Vor allem ist man sich dafür nicht zu cool, sondern packt gerne das nötige Pathos hinein – zumal man auf eine lange Tradition zurückblicken kann: Auf den ersten Platz der UK-Weihnachtscharts schafften es seit den Fünfzigerjahren vorzugsweise Lieder, die den Titel „Weihnachtshit“ redlich verdient haben und dem besinnlichen Geist von Alles-wird-gut-Filmen à la „Tatsächlich Liebe“ oder dem Bill-Murray-Klassiker „Die Geister, die ich rief“ in nichts nachstehen. Zu Weihnachten 1957 steht noch ein Harry Belafonte mit „Mary’s Boy Child“ an der Spitze der britischen Charts. In den Sechzigerjahren finden sich dort Hits der Beatles, während die Siebzigerjahre in Sachen Weihnachtsgeschäft vor allem von Slades „Merry X-Mas Everybody“ überstrahlt werden – denn das ist das Feine an Weihnachtsliedern: ihre längere Halbwertszeit. Einmal etabliert, werden sie alle Jahre wieder gespielt. Ein solcher Goldesel war 1984 auch „Do They Know It’s Christmas“ von Band Aid, das es auch 1989 und 2004 auf Platz 1 schaffte. Und von den Tantiemen für ihre weihnachtliche Allzweckschnulze „I Will Always Love You“ bezahlt Whitney Houston heute noch ihre Entziehungskuren. Sogar eine Regel lässt sich erkennen: Damit ein Weihnachtshit in England charten kann, muss es darin um Welt- oder Seelenfrieden gehen.
Die deutschen Tophits der Weihnachtswoche sehen da (soll man sagen: leider?) ein bisschen anders aus. Sang 1965 noch Heintje sein unbekümmertes „Heidschi Bumbeidschi“, war derlei Gefühlsduselei bald von Black Sabbath’ „Paranoid“ oder Abbas „Money, Money, Money“ wie weggefegt. Und wenn es in jüngster Zeit deutschsprachige Songs in die Weihnachtscharts schafften, dann nur mit denkbar festtagsfernem Liedgut wie „Der Maschendrahtzaun“, „Es ist geil, ein Arschloch zu sein“ und „Der Steuersong“ – Letzteres eine satirische Variante des Sommerhits „Ketchup Songs“, wohlgemerkt.
Einzig Sarah Connor scheint stets das Weihnachtsgeschäft im Blick zu haben. Drei Hits hatte sie bisher, allerdings auf Englisch. „From Sarah With Love“, „Music Is The Key“ und „Living To Love You“ werfen allerdings auch die Frage auf, warum es keine akzeptablen deutschen Künstler gibt, die sich ernsthaft an das Thema wagen.
Erdmöbel machen nun zumindest einen Anfang. Oft als „Easy-Listening-Band“ bezeichnet, haben sich Erdmöbel mit bisher sechs Alben in Indie-Kreisen einen gewissen Status erspielt. Genau der steht nun auf dem Spiel, wenn zum Einstand ihres neuen Vertrags mit einer Major-Plattenfirma nun ihre neue Single erscheint: „Weihnachten (Last Christmas)“ kommt am 1. Dezember auf den Markt – und ist ausgerechnet eine Coverversion des George-Michael-Evergreens „Last Christmas“ (der übrigens weder in UK, USA noch in Deutschland jemals als „Christmas Number 1 Single“ aufgelistet war). Freilich singt Markus Berges dazu einen anderen Text: „Weihnachten ist mir doch egal. Ich bin drei Karat Kaugummiautomat. Ich schenk dir, ohne Papier, mein billiges, billiges Herz.“ Und weiter: „Komm, wir bleiben zwischen den Jahren. Sollen doch die Reichen die Berge kaputtfahren. Das Jahr ist schwer und alt, uns ist so leer und kalt, Was wollen wir mehr, denn bald fallen wir ins Bett wie Schnee.“
Um Ironie soll es sich dabei aber nicht handeln: „Ironie benutzen wir eigentlich nie. Es geht uns hier tatsächlich um eine echte Aussage, es geht um Romantik und darum, ohne Kitsch ein reales, schönes Fest zu feiern“, erklärt Berges, der dem Hörer normalerweise keine allgemeine Aussage, kein Statement mit auf den Weg geben mag. Normalerweise soll jeder aus den Texten heraushören können, was er mag.
Aber mit dem Weihnachtssong begibt sich die stets um Authentizität bemühte Band eben auf die nicht ungefährliche Gratwanderung, das am meisten kommerzialisierte Fest des Jahres mit echten Gefühlen zu beleben, ohne in Kitsch zu entgleisen: „Dass jemand wie Sarah Connor, die das Fest und die Emotionen nur benutzt, die Vollpest ist, darüber sind wir uns doch hoffentlich einig.“
Einig ist sich Band auch in ihrer Wertschätzung der Überschnulze „Last Christmas“: „Das ist doch ein toller Song!“, meint Ekimas, der Produzent der Band, und will die Coverversion als Verbeugung vor dem Original verstanden wissen. Die Idee für einen deutschen Pop-Weihnachtssong entwickelte sich bei den Kölnern aus derselben Frage, die wir uns oben schon gestellt haben: „Warum gibt es keine deutschen Weihnachtshits? Wir wollten das gerne machen. Mehr deutsche Bands sollten das tun.“ Vorbild von Erdmöbel sind dabei auch die Briten. Im Vergleich zu anderen Ländern habe Deutschland doch einen sehr ernsten Zugang zum Heiligen Abend. „Mit unserem Song haben wir versucht, spielerischer damit umzugehen. Unsere Single ist deutsch, aber auch sehr undeutsch.“
Mit „Weihnachten (Last Christmas)“ geben Erdmöbel nun also die erste Single bei Sony/BMG heraus; die letzten Alben sind bei Indie-Labels erschienen, wie Tapete Records aus Hamburg. „Wir wollten mal wieder etwas Neues machen“, erklärt Markus Berges den Wechsel vom Indie zum Major.
Sony-Mann Philip Ginthör schätzt die Single seiner neuen Schützlinge denn auch als Auftakt zum neuen Genre der Deutschpop-Weihnachten ein: „Aus der britischen Tradition der ‚Christmas Number 1 Single‘ entstand der Erdmöbel-Song. Das wollen wir weiter ausbauen. Nächstes Jahr soll etwas in diese Richtung mit unserer Künstlerin Yvonne Catterfield laufen.“
Yvonne Catterfield? Erdmöbel haben gewiss nicht den Schnulzen zweitklassiger Sängerinnen das Feld bereiten wollen. Zumal schon Topmodel Heidi Klum sich vor kurzem damit brüstete, eine Weihnachtssingle mit dem Titel „Wonderland“ besungen zu haben, allerdings mit englischem Text.
Aber vielleicht haben wir Glück, und Erdmöbel ist Yvonne Catterfield als Nachfolgerin so peinlich, dass sie ein paar ihrer Kollegen zu einem Weihnachtshit für 2007 überreden. Wäre doch toll, beim Weihnachtsbummel von Wir sind Helden oder Sportfreunde Stiller berieselt zu werden – sofern wir denn bereit sind für die „echten Gefühle“.