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Archiv-Artikel

„Bei manchen Themen herrscht Raserei“

Medien geben nicht die tatsächliche Gefahr wieder, sagt Kommunikations-Wissenschaftler Frank Marcinkowski

taz: Herr Marcinkowski, vor einem dreiviertel Jahr war das Thema Vogelgrippe überall präsent, heute redet keiner mehr darüber. Sind wir vergesslicher geworden?

Frank Marcinkowski: Ich denke nicht. Medien bilden nicht die Wirklichkeit ab, sondern konstruieren sie. Die Welt hat sich vermutlich nicht verändert, was das Risiko für Vogelgrippe angeht. Aber die Aufmerksamkeit der Journalisten hat abgenommen. Das Thema Vogelgrippe kommt wieder, wenn die Bedingungen sich ändern.

Welche Bedingungen?

Weniger die Bedingungen der Welt, als die Bedingungen für Medienselektion, zum Beispiel Aktualität: Medien sind aktualitäts-fixierte Einrichtungen und dieses Thema ist gerade nicht aktuell. Das liegt etwa daran, dass Politiker und Institute wie das Robert Koch Institut weniger intensiv darüber reden.

Es bleibt der Eindruck, dass Medienhypes wie beim Thema Vogelgrippe zunehmen.

Das ist richtig. Es gibt bei manchen Themen eine regelrechte Raserei. Das hat mit der verdichteten Konkurrenz bei den Medien zu tun, bei manchen Themen will jeder aufspringen. Wir erleben dann für kurze Zeit einen Boom. Der ist allerdings nur kurzfristig, wenn Schlüsselreize die Aufmerksamkeit auf andere Themen lenken.

Was war der Reiz beim Thema Vogelgrippe? Das Risiko, sich in Deutschland anzustecken ist ja sehr gering.

Die Risikowahrnehmung von Experten und von Bürgern oder Medien ist ja grundsätzlich unterschiedlich. Ob es eine reelle Gefahr gab, können Experten an Eintrittswahrscheinlichkeiten berechnen. Aber die Bürger kalkulieren Risiken anders, sonst hätten sie nicht vorm Fliegen mehr Angst als vorm Autofahren. Das Interessante an der Vogelgrippe war die Benennung mit dem Namen einer Krankheit, die jeder Bürger kennt. Wo sich auch Assoziationen zu Grippe-Epidemien herstellen ließen. Da der Name einer menschlichen Erkrankung für einen Tiervirus benutzt wurde, haben die Leute ihre eigene Betroffenheit überschätzt.

Ist diese Neigung zur Hysterie menschlich?

Ich würde das nicht unbedingt Hysterie nennen. Wenn sie in den Medien hören, es gibt eine Grippe, die von Vögeln übertragen wird, ist das eine natürliche Reaktion, keine hysterische. Wenn ich das mit der Grippe, die ich grade hatte, assoziiere und denke: Jetzt kann das irgendwie durch die Übertragung von Tieren zu mir kommen – ist das eine rationale Reaktion.

INTERVIEW: MANFRED GÖTZKE