: Herrn Stolles Gespür für Dampf
Ralph-Peter Stolle ist der einzige gewerbliche Konstrukteur von Gartenloks in Norddeutschland. Bis zu zwei Jahre arbeitet der Maschinenbauer aus Hannover an Gefährten für leidenschaftliche Eisenbahner. Kein Wunder, dass die Preise für die Stahl- und Messingkunstwerke in der Bugatti-Liga spielen
VON KAI SCHÖNEBERG
Der Duft des Dampfes hat Ralph-Peter Stolle schon als kleinen Jungen fasziniert. „Wir saßen am Strandbad Maschsee und sahen die Rauchschwaden der Dampfloks“, sagt Stolle. Das Ächzen der Kolben, das Rotieren der Schwungräder und der Geruch von Kohle und Öl haben ihn bis heute nicht mehr los gelassen. Der Maschinenbau-Meister ist der einzige gewerbliche Konstrukteur von Gartenloks in Norddeutschland. In seiner Werkstatt im hannoverschen Stadtteil Limmer hat Stolle noch eine uralte Platte für eine Eisenbahn im Maßstab H0, also 1:87, stehen. Dampfrösschen im Maßstab 1:4 kommen ihren dinosaurischen Vorbildern dagegen verdächtig nahe. Vor allem die von Ralph-Peter Stolle. Gegenüber anderen Tüftlern zeigt der Profi-Lokbauer nicht die ganz große Bescheidenheit. Stolle, den in Limmer alle nur Raps nennen, sagt einfach mal: „Manche bauen VWs, manche bauen Mercedes, ich glaub’, ich bau die Bugattis.“
2,20 Meter lang, 90 Zentimeter hoch, 600 Kilo schwer, Spurbreite siebeneinviertel Zoll, exakt 184 Millimeter: Der Traum vieler Gartenbahner ist ein filigranes Kunstwerk aus Stahl, Messing, Gusseisen, Rotguss und Bronze in tiefschwarz und feuerrot, eine Mallet 99 633, wie sie vor über 100 Jahren noch in Württemberg gefahren ist. Fast alles an dem blitzblanken Modell ist reine Handarbeit, selbst die stecknadelkopfgroßen Nieten sind keine Dummys. Auch die Handräder, Dampfregler und die Feuertür im Führerstand hat Stolle selbst gefeilt, gelötet, gebohrt, geschweißt, gefräst, gebördelt oder geschliffen. „Wenn ich die Lichtbrechung im Gestänge sehe, finde ich das einfach schön“, sagt der 1,90 Meter-Mann, der mit seinem Zopf locker als widerspenstiger Gallier aus einem Asterix-Comic durchgehen könnte.
Jetzt ist erst mal Schluss mit Lokbauen. Der TÜV war da, hat die Mallett abgenommen. An wen er sie geliefert hat, will Stolle nicht verraten: „Rolls Royce erzählt ja auch nichts über seine Kunden.“ Nur so viel: Der Käufer hat ihn vor ein paar Jahren beim Sinzheimer „Echtdampf-Hallentreffen“ engagiert. Und: Seine Kunden seien Manager, Professoren oder Ingenieure. „Große Jungs“, sagt Stolle, die auf den Loks oder Tendern hockend durch den eigenen Garten dampfen wollen. Auch der Preis ist strikte Geheimsache. Er dürfte sich aber sozusagen in der Bugatti-Liga bewegen.
Stolle ist erleichtert, dass er die Mallet vom Hof hat: 2.500 Arbeitsstunden hat er in den vergangenen zwei Jahren an der Lok gebaut, nach Originalplänen aus dem Eisenbahnmuseum in Nürnberg. Jetzt fertigt der 40-Jährige wieder Spezialteile für Maschinenbaufirmen. Das hat nichts von Nostalgie, ist aber auch sein Job. Am schönsten seien die Franzosen, findet Stolle, vor allem die 4-Zylinder-Verbund-Schnellzug-Lok der Baureihe 241 A 65 hat es ihm angetan. „Kraftvoll und leise“, sagt er, „extravagant wie französische Autos, die Deutschen sind da viel sachlicher.“
Mit fünf Jahren baute Stolle seine erste Papplok, dann kam die ganz normale Jungskarriere mit den 15 Loks von Märklin. Aber das reichte ihm nicht. Er wollte immer echte Loks mit Feuer, Wasser und Kohle, wollte wissen, „wie die drinnen aussehen“. Weil, so sagt wenigstens Stolle, „Loks atmen“. Da er nicht „in einem Museumsverein Farbe vom Wagen abkratzen“ wollte, wälzte Stolle bereits als 13-Jähriger dicke Wälzer namens „Die Dampflokomotive der Gegenwart“. Von 1919. Stolle: „So etwas liest sich für mich wie ein Roman.“
Die Musiker, die Sportler, das waren schon in der Schule immer die Helden. „Wer interessiert sich schon für dampfende Loks?“, fragt Stolle. „Da wirst du schon ein bisschen gehänselt.“ Es scheint aber nicht, als ob ihm sein Spleen geschadet hätte. Stolle hat auch noch andere Hobbys, zum Beispiel Segeln. Und: Er ist ja mit seiner Faszination fürs Dampfende nicht wirklich allein. Bei Jethro Tull hieß die mal Locomotive Breath und wurde ein Welthit.
Gartenloks sind ohnehin kein Hobby für Einzelkämpfer. Etwa 500 gibt es in Deutschland, vor allem im Süden. Eine recht überschaubare Fan-Schar karrt regelmäßig ihre Stahlgefährte nach Schackendorf in Schleswig-Holstein. Hier steht die größte Gartenbahnanlage des Nordens: 1.200 Meter Gleise mit einem echtem Bahnhof, 24 Weichen und zwölf Signalen. Dort fahren sie wie Cowboys auf Zwergponys über das Clubgelände, in Online-Foren nennen sie sich liebevoll „Dampfnasen“ und freuen sich aufs nächste „Schuppenheizen bei Nacht“.
Der Gag für die Lok-Fans besteht übrigens nicht darin, die Modell-Monstren zu besitzen, sondern sie tatsächlich zu fahren. Stolles Mallett fährt zwar nur höchstens 15 Kilometer pro Stunde, hat aber vier PS. „Vier Pferdestärken“, sagt Stolle, „damit kannst du auf ebener Strecke 15 Tonnen ziehen.“ Das Spannendste ist der Anstieg. „Wenn du mit einem schweren Zug über einen Berg fährst, muss sich die Lok anstrengen“, sagt Raps. „Der Lokführer muss riechen, hören und sehen, was sie gerade braucht. Da kommen sich Lok und Lokführer sehr nahe. Die kommunizieren richtig.“
Ein Dampfboot würde er auch mal gerne bauen. „Keine Mississippi-Dampfer“, sagt Stolle. „Das sind Kasperle-Buden ohne Schneid.“ Auf Kitsch fährt der Lokbauer nicht ab, eher auf Solidität: „Vielleicht einen Schleppdampfer, wie er früher auf dem Rhein gefahren ist“, sagt Stolle. Der Auftrag kommt bestimmt.