: Balla-Balla für Klein und Groß
Nach der Schulschießerei: Experten wollen kein Verbot, sondern mehr digitale Spiele – mit Kindern, Eltern und Lehrern
„Fragenbär Vorschule“ und „Buzz – Das große Quiz“. So lustig-naive Namen haben die beiden Gewinner des Computerspielpreises „Pädi 2006“. Der medienpädagogische Verein „SIN – Studio im Netz“ hat ihn dieser Tage verliehen. „Wir wollen damit jungen Menschen und ihren Eltern eine Orientierungshilfe im Angebotsdschungel geben“, sagt Geschäftsführer Hans-Jürgen Palme.
Aber so niedlich ist der „Pädi“ gar nicht. Er ist eine der Antworten auf ganz reales Bomben und Ballern. Sebastian B. hat mit dem Amoklauf in seiner Exschule in Emsdetten die schlummernde Debatte um die so genannten Killerspiele wieder zum Leben erweckt. Der 18-Jährige hatte seinen Amoklauf mit dem Ballerspiel „Counterstrike“ regelrecht trainiert. Das Spiel ist nur eines von unzähligen Computerspielen. Pro Jahr kommen mehr als tausend neue Titel vom harmlosen Strategiespiel bis zu gewaltverherrlichenden Ego-Shootern auf den Markt.
Die letzte Bastion der Jugendkultur
Ein vertrauenswürdiges Qualitätssiegel fehlt. Eltern haben kaum Möglichkeiten, sich über die Tauglichkeit des jeweiligen Spiels für ihren Sprössling zu informieren. Die Unterhaltungssoftware-Selbstkontrolle (USK) bewertet die Alterseignung, beurteilt die Spiele jedoch nicht nach medienpädagogischen Gesichtspunkten. Im Schnellschuss gilt vielen Politikern ein generelles Verbot als die beste Lösung im Kampf gegen Ballerspiele. Medienpädagogen plädieren allerdings für mehr Medienkompetenz – schon bei den ganz Jungen.
Mehr Computerprojekte in den Kindergärten, fordert Sabine Eder. „Nur so können wir auch die Eltern für das Thema sensibilisieren, später erreichen wir sie nicht mehr“, sagt die Vorsitzende des Vereins „Blickwechsel“, der sich um medienpädagogische Arbeit im Dreieck Elternhaus, Schule, Jugendarbeit kümmert. Den Draht zu den Teenagern finde man über die Mainstreammedien: Die negativen Aspekte der Computerspielerei sollten also zum Thema in der Bravo und in den Daily Soaps werden.
Der Bedarf ist gegeben, das belegen die Verkaufszahlen. 41,2 Millionen Computer- und Videospiele gingen 2005 in Deutschland über die Ladentische, der Umsatz betrug rund eine Milliarde Euro. Das ist mehr als bei den Kinos, die 745 Millionen Euro umgesetzt haben.
Den Erwachsenen fehlen oft die technischen Kenntnisse. „Es gibt eine digitale Kluft zwischen Jugendlichen und ihren Eltern“, sagt Winfred Kaminski, Professor für Medienpädagogik an der Fachhochschule Köln. Um ein Computerspiel beurteilen zu können, reiche es nicht, dem Sprössling hin und wieder über die Schulter zu schauen. „Computerspiele sind die letzte Bastion der Jugendkultur“, sagt auch Thomas Feibel. Der Journalist leitet das „Büro für Kindermedien“ in Berlin. Die Eltern hätten nicht den Mut, ihren Kindern das Computerspielen zu verbieten, so Feibel.
Dazu kommt, dass auch die Lehrer hierzulande im Umgang mit neuen Medien oft heillos überfordert sind. Ihre Kollegen in Skandinavien und Großbritannien werden bereits zu Beginn ihrer Ausbildung mit Laptops ausgestattet. Gutes Zureden von Seiten der Eltern und Lehrer alleine ist so gut wie nutzlos. Denn: „Friedliche Spiele machen keinen Spaß“, sagt Kaminski.
Doch den richtigen Umgang mit Computerspielen kann man lernen: Zu den vier Bausteinen zum Aufbau von Medienkompetenz gehören: Medienkunde, Medienkritik, Mediennutzung und Mediengestaltung. Pädagogikexpertin Sabine Eder sieht auch die Gamer-Szene in der Pflicht. „Die Spieler müssen informiert werden, wo sie sich bei Problemen hinwenden können.“
Damit Kinder und Jugendliche gar nicht erst in die virtuelle Welt abdriften, müsse man sie gezielt vom Computerspielen wegführen, sagt Thomas Röhlinger von „Radijojo!“ in Berlin. Der 2003 gegründete Kinder-Radiosender kooperiert mit Partnersendern auf vier Kontinenten. Das Konzept: Kinder zwischen 3 und 13 Jahren erlernen das Radiohandwerk. Sie sind als Reporter mit dem Mikrofon unterwegs, produzieren Hörspiele und schreiben ihre eigenen Songs. Thomas Röhlinger: „Es ist auch ein Spiel in einer weltweiten Community – aber ein ganzheitliches.“ MARTIN LANGEDER