: Vorurteile einfach wegtanzen
Sechs junge afrodeutsche Künstler inszenieren eine Performance über Identität und Klischees. Mit Tanz, Musik und Versen beschreiben sie ihren Weg zu sich selbst. Heute Abend ist Premiere in der Werkstatt der Kulturen in Neukölln
Monoton murmelnd rezitiert eine junge Frau Rilkes Gedicht über den gefangen Panther. „Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, der sich im allerkleinsten Kreise dreht, ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt ein großer Wille steht.“ Eine Tänzerin schleicht dazu von einem Ende der Bühne zum anderen; sie zeichnet die Verse mit ihrem Körper nach, bald hüpft sie, bald zuckt sie, um schließlich zu erstarren.
Der Panther ist 17 Jahre alt und heißt Duduzile Voigts. Die Schülerin tanzt bei „Blaque ReinneCarnation“, einer Performance in drei Akten, die heute in der Werkstatt der Kulturen am Hermannplatz Premiere feiert. Sechs junge Menschen mit afrikanischen Wurzeln singen, tanzen, trommeln und kombinieren ihre Musik mit Gedichten. „Choreopoem“ nennen sie diese Kunstform.
Es ist die Geschichte eines modernen Bildungsromans, den die jungen Künstler auf die Bühne bringen. Sie zeigen ihren Weg zu einer afrodeutschen Identität und lehnen sich gegen Klischees auf. „Wir wollen nicht immer nur afrikanische Kultur darstellen müssen“, sagt Dichterin Cinn Sandjon, die neben dem Panther auch eigene Verse auf die Bühne bringt. Sie hat sich das Konzept ausgedacht – und erklärt den auffallenden Namen: „Einige der Künstler haben französischsprachige Eltern, so wurde black zu blaque.“ Etwas verfremdet stecke außerdem das französische Wort reine – Königin – im Titel. Bescheiden sind die Choreopoeten nicht. „Wir schreiben und definieren die Wörter so, wie wir wollen“, erklärt Sandjon.
Afrikanisches Erbe
Ähnlich selbstbewusst bedienen sich die sechs Künstler bei Johann Sebastian Bach, Rilke und anderen Vertretern der vermeintlichen Leitkultur. „Wir beanspruchen auch klassische deutsche Werke für uns“, erklärt die 22-Jährige. Von Afrodeutschen werde nicht erwartet, dass sie auch Rilke zitieren können. „Wir pflegen sowohl das deutsche als auch unser afrikanisches Erbe“, so Sandjon. Letzteres reiche vom amerikanischen Gospel über zeitgenössische ghanaische Literatur bis zu nigerianischen Trommelrhythmen. Die hat Theophilus Emiowele, das mit 30 Jahren älteste Mitglied des Ensembles, aus seinem Geburtsland mitgebracht.
Die Choreopoeten sträuben sich gegen eine vermeintlich afrikanische Identität, die ihnen in Deutschland aufgedrückt wird. Das Stück beginnt daher mit deren Ablehnung. „Um zu einer eigenen Identität zu finden, muss man zunächst die Vorurteile benennen, welche die weiße, männliche Mehrheitsgesellschaft gegen die Afrodeutschen hat“, begründet dies Sängerin Jessica Banzouzi.
Jeder der drei Akte beschreibt einen Schritt auf dem Weg zur eigenen Identität. Im ersten Teil erscheinen die Darsteller ganz in Weiß auf der Bühne, Abbildungen gängiger Klischees werden auf ihre Körper projiziert: der Sarotti-Mohr, die schicke exotische Frau, hungernde afrikanische Kinder. Im Verlauf der Performance weichen diese Bilder dem eigenen Selbstverständnis.
Das Stück spiegelt die Lebensläufe der sechs Künstler wieder. „Wir fühlen uns in Deutschland entwurzelt“, sagt Sängerin Banzouzi. Auch Tänzerin Voigts kennt dieses Gefühl: Seit ihrer Geburt pendelt sie zwischen Deutschland und Südafrika. Cinn Sandjon, deren Vater Kameruner ist, hat sich früh auf die Suche nach sich selbst gemacht. Seit ihrem 13. Lebensjahr verfasst sie Gedichte. „Für mich ist das Schreiben ein Ventil, ein Weg, meine Gefühle auszudrücken“, so Sandjon. Für Menschen, die wie sie zwischen zwei Kulturen stehen, sei ein solches Ventil besonders wichtig.
Ständige Rollenwechsel
Auch auf der Bühne wechseln die sechs ständig die Rollen. Es ist Sandjon, die Rilkes Gedicht rezitiert. „Wie der Panther kennen wir das Gefühl, als Objekt im Käfig angestarrt zu werden“, so die 22-Jährige. Bis am Ende des ersten Akts die Reise beginnt, auf der alle Vorurteile über Bord fliegen, und Sandjon befreit schreien kann: „Ich packe meinen Koffer und nehme mit: mich, mich, mich.“ Sebastian Kretz
„Blaque ReinneCarnation“, heute sowie am 2. und 3. Dezember, jeweils 20 Uhr, in der Werkstatt der Kulturen