: Die Pisa-Müden
KRITIK Ein offener Brief eint links und rechts
VON ANNA LEHMANN
Sie sind ein ziemlich bunter Haufen, die Unterzeichner des offenen Briefs an den Koordinator des weltweiten Schülerleistungsvergleichs Pisa, Andreas Schleicher. Seit Anfang Mai kursiert das Schriftstück im Netz, aufgesetzt wurde es in den USA von Heinz-Dieter Meyer, Dozent an der State University New York, und Katie Zahedi, Direktorin einer Mittelschule in den USA. Sie beklagen, dass die globalen Pisa-Tests Schülern und Lehrern schadeten, weil sie den Stress erhöhten und die Klassenzimmer bildungsärmer machten. Pisa beleuchte nur einen engen Ausschnitt messbarer Aspekte von Bildung und lenke die Aufmerksamkeit von nicht messbaren Zielen wie moralischer und künstlerischer Erziehung ab.
Die erste Pisa-Studie der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit hatte 2001 in Deutschland einen Schock ausgelöst: Die Ergebnisse waren mäßig, die sozialen Unterschiede riesig. Im Laufe der im Dreijahresrhythmus erscheinenden Studien arbeiteten sich deutsche Schüler nach oben. Gleichzeitig wuchs die Kritik an Pisa. Wenig überraschend stieß der Brief daher auch hierzulande auf große Resonanz.
Zur Unterschrift gelangt man über die Webseite der Gesellschaft für Erziehung und Wissen. Sie gründete sich 2010 unter Ägide deutscher, österreichischer und Schweizer Professoren und versteht sich als Gegenöffentlichkeit zu zahlreichen Bildungsreformen. So hatte sich der Geschäftsführer Hans Peter Klein kritisch zur Einführung des achtjährigen Abiturs geäußert. Er versucht nachzuweisen, dass das Niveau der Abituraufgaben seither massiv gesunken ist.
Auch der Vorsitzende des Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, und der Chef des Realschullehrerverbandes, Jürgen Böhm, gehören zu den deutschen Unterzeichnern. Beide Verbände wetterten in der Vergangenheit gegen Einheitsschulen und votierten für die Beibehaltung des gegliederten Schulsystems. Auf der Liste steht aber auch der Bamberger Soziologieprofessor Richard Münch, der in linken Kreisen wegen seiner Kritik an der McKinseyisierung der Bildung geschätzt wird.
Nicht unterschrieben hat die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Man teile die Kritik in vielen Punkten, wolle sich aber nicht mit den konservativen Kritikern gemeinmachen, sagte die Vorsitzende des Fachbereichs Schule, Ilka Hoffmann. Die GEW veröffentlichte zusammen mit dem Verband Bildung und Erziehung und dem Grundschullehrerverband zur gleichen Zeit wie die Pisa-Müden ein Manifest gegen die bundesweiten Lernstandstests in Klasse 3 und 8. Ähnliches Thema, gleicher Tenor: Die sogenannten Vera-Tests verschärften den Leistungsdruck, böten Schulen aber keine Unterstützung.