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Archiv-Artikel

Die Schönheit der Chemie

Lichtfestspiel und Entdeckung zugleich: In Braunschweig sind die Autochromen Fotografien von Käthe Buchler zu sehen, die zwischen 1913 und 1930 bereits mit Farbaufnahmen experimentierte

von ERICH UNGLAUB

Die Farbfotografien, so wie sie die Braunschweiger Künstlerin Käthe Buchler zwischen 1913 und 1930 ausführte, zeigen in vielen Aufnahmen den Charme des Anfangs einer noch jungen Technik. Sie zeugen aber auch vom Zauber einer großen Begabung, eines enormen Kunstwillens und in nicht wenigen Stücken von unerwarteter Meisterschaft.

Käthe Buchler (1876–1930) gehört zu den couragierten, in gesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen lebenden Frauen um 1900, die soziales Engagement mit bürgerlichem Selbstbewusstsein, starkem Kunstinteresse und einem erstaunlichen Sinn für ausgefallene Experimente vereinten. Geboren als Tochter des ranghöchsten Juristen im Land Braunschweig, schienen die Erwartungen kaum über die Aufgaben einer repräsentativen Gattin hinauszugehen, als sie mit 19 Jahren den Besitzer einer chemischen Fabrik heiratete und die standesgemäße Gründerzeitvilla bezog, um eine Familie zu gründen. Doch für eine Dame der Gesellschaft hatte sie einen auffälligen Hang zur Technik, das junge Medium Fotografie faszinierte sie. Käthe Buchler entwickelte einen nicht-kommerziellen, durchaus dokumentarischen Ansatz, für den Serien von Schwarzweißfotografien aus der Zeit des Ersten Weltkriegs stehen: „Frauen in Männerberufen“, auch Bilder aus den Lazaretten. Neu, aber nicht spektakulär. Parallel dazu verfolgte Käthe Buchler von 1913 bis 1930 allerdings noch eine andere Richtung: Fotografien in Farbe, wie sie jetzt im Museum für Photographie Braunschweig zu sehen sind. Das Besondere: Die Bilder sind durch direkte Einwirkung des Lichts und nicht etwa durch geschicktes nachträgliches Kolorieren von Schwarzweißaufnahmen entstanden.

Erst 1904 ließen sich die Brüder Lumière ein Verfahren patentieren, das handhabbar war und weite Verbreitung fand. Für die Autochrome Photographie wurden Glasplatten in Rastern mit orangeroten, violetten und grünen Kügelchen aus Kartoffelstärke beschichtet, die nach Belichtung und Entwicklung als Glaspositiv die Farbnuancen der Natur in bis dahin nicht gekannter Qualität wiedergaben. Nun konnte man Farbbilder mit einer einzigen Aufnahme erzeugen, allerdings war die Belichtungszeit von etwa einer Minute nicht bei jedem Motiv ohne Probleme. Das Material war teuer, und als in den 30er Jahren Agfa und Kodak ihre Farbfilme auf den Markt brachten, war die Zeit der kostbaren Autochromplatten aus Lyon vorüber.

Mit 37 Jahren entdeckte Käthe Buchler die Welt der Farbfotografie und belichtete ganze Serien von empfindlichen Glasplatten, die auf dem heimischen Dachboden den Krieg und die Nachkriegszeit überstanden. Mit dem Nachlass kamen 2003 auch 175 Autochrome in den Besitz des Museums für Photographie in Braunschweig, das nun in einer Ausstellung 65 Bilder präsentiert. Umfang und Qualität der Werke sind eine Überraschung, und auch jenseits von Braunschweig eine bedeutende Entdeckung.

Schon 1915 waren Käthe Buchlers Autochrome Stadtgespräch. Die Projektion der Glaspositive in öffentlichen Veranstaltungen gewann schnell Eventcharakter. Zunächst blieb die Künstlerin „bescheiden hinter dem Lichtschirme“ in der Aula der Technischen Hochschule, während gelehrte Herren mit Vorträgen Einführungen in die neue Technik gaben, vaterländische Gedichte rezitierten und die Folge der Farbbilder moderierten. Die Braunschweiger „Schönheitssucherin“ galt als „Künstlerin in der Liebhaberphotographie“, die „vollendete Technik bei der Aufnahme und Behandlung der Photographien“ zeigte. Die Vorlieben der Epoche wurden bedient: Landschaftsbilder aus Braunschweig und Umgebung, dem Harz und aus der Schweiz, ein Zyklus der Jahreszeiten, Blumenstücke und Architekturbilder bildeten das Programm.

Die Verzauberung der zeitgenössischen Betrachter geschah durch die Behandlung des Materials. Die Kornstruktur auf der beschichteten Glasplatte erlaubte flimmernde Hintergründe, die an die impressionistische Malerei anknüpften, die variable Behandlung der Tiefenschärfe rief Stimmungen hervor, die die Brillanz der Farben verstärkte. Käthe Buchlers Sujets lagen vor der Haustür, im Gewirr der Okerkanäle, in den nahen Harzstädtchen, an der Ostsee. Ihr Personal waren vor allem die Mitglieder der weitverzweigten Familie. Gleichwohl war dies keine Knipserei, der Bildaufbau setzte Landschaft und Personen in Bezug, zeigt an der Ostsee Ende der 20er Jahre Gestalten mit dem Rücken zum Betrachter. Sie bleiben rätselhaft, geben kaum ihre Identität preis, nicht einmal ihre Geschlechterrollen, und brechen optisch auf in die flimmernde Zone aus Horizont und Wasser, deren Übergänge unmerklich und deren Begrenzungen unfassbar scheinen.

Kein ferner Punkt, an dem sich Auge und Interesse festhalten: Es ist ein Blick in nichts als Farbe. Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer“ hatte solche Bildwelten eröffnet, hier erscheinen sie mit Licht und Chemie in eine neue Zeit gebracht – Edward Hoppers Seebilder und David Hockneys Pools anmeldend. Genrebilder sind nicht im Salon gestellt, sie entstehen auf dem Lande, mit dem Hauspersonal und den Kindern aus dem Braunschweiger „Rettungshaus“, dem auch der Erlös der Vortragsabende zukam. Also nichts Betuliches, sondern mit sicherem Blick für die Faszinationskraft der Farben komponierte Bilder.

In den besten Stücken ist Brisanz mit Camouflage gepaart. Wo die lokalen Berichterstatter der Zeit als Bildtitel „Steterburg“ (1914) melden, zeigen die Autochrome deutlich mehr: Käthe Buchler hatte ihren schweren Photoapparat mit Stativ in den Wagen gepackt und in den 12 Kilometer entfernten Klosterort gefahren, um halbwüchsige Mädchen aufzunehmen. Das Sujet schien kaum dem Aufwand zu entsprechen. Es war nicht die gewohnte Dorfjugend in ihren verlegenen Posen, sondern eine soziale Gruppe, die wohl schwer die kostbaren Autochrome zu rechtfertigen schien: Die Mädchen waren Sinti, wie die Ausstellung politisch korrekt vermerkt.

Die Fotografin stellte sie vor den zerschlissenen Planwagen einer Steterburger Firma, baute sie vor der Pumpe auf und zeigte sie im Einzelporträt. Jenseits des malerischen Dekors, mit dem Modemaler wie Ignacio Zuloaga „Zigeuner“ feierten, sahen sie bei Käthe Buchler eher wie Fremdlinge aus. Den ungewöhnlichen Zugriff erkannten auch die Zeitgenossen, sie lobten die „prächtigen Porträtaufnahmen, die nicht wie solche aussehen, das heißt kein Photographiergesicht aufweisen“.

Das Fotomuseum Braunschweig hat diese Bilder aus dem sicheren Depot wieder ans Licht gebracht. Allerdings nicht in Originalen, sondern in einer exquisiten Serie von Papierbildern, zudem wurde ein Jahreszeitenzyklus in transparenten Lichtkästen platziert. Sie treten den Betrachtern in taghellen Räumen, an weißen Wänden, nebeneinander gehängt und in kleinen Formaten gegenüber. Unter den Bedingungen des Ausstellungsbetriebs wird die wichtige fotohistorische Entdeckung sichtbar. Doch das Erlebnis, das mit der inszenierten Präsentation von Autochromen verbunden war, geht verloren: begeisternde kollektive Lichtfeste von Sujets und Farbe.

Die Segnungen des Internets deuten auch hier eine Wende an. In internationalen Foren und auf Websites sammelt sich eine „Gemeinde der Autochromie“, für die die leuchtenden Farbbilder jener Zeit zu Kult und Wissen geworden sind. In diesen Kontext gehören die Pionierbilder von Käthe Buchler – farbig, transparent, strahlend leuchtend und bereit für das Beamen in die künstliche Nacht für ein großes Display.

Bis 14. 1. 2007, Katalog (Appelhans Verlag Braunschweig) 15 €