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Archiv-Artikel

Chemie in Europa soll sicherer werden

EU einigt sich auf eine neue Chemikalienverordnung für die Gemeinschaft. Damit sollen 30.000 unerforschte Stoffe auf ihre Gefährlichkeit untersucht werden. Kompromiss sieht weniger Tierversuche und mehr Ausnahmen für die Wirtschaft vor

„Das EU-Parlament hat sich der intensiven Lobbyarbeit der Industrie gebeugt“

VON NICK REIMER

Man mag es kaum glauben: Seit drei Jahre streiten sich das Europaparlament mit der EU-Kommission und den Mitgliedsstaaten über die künftige Chemikalien-Gesetzgebung Reach. Zuletzt sah alles nach grandiosem Scheitern aus. Gestern erklärte der liberaldemokratische EU-Parlamentarier Chris Davies plötzlich: „Reach ist beschlossen.“ Was ist bloß geschehen?

Reach – diese Abkürzung steht für „Registrierung, Evaluierung und Autorisierung von Chemikalien“. Mit ihrer Richtlinie wollte die Kommission die Beweislast umdrehen: Hersteller sollten garantieren, dass in ihren Produkten keine gefährlichen Stoffe enthalten sind. „Es ist schon erstaunlich: Überall sonst gibt es Sicherheitskriterien, die den Verbraucher schützen“, sagt etwa der Präsident des Umweltbundesamtes Andreas Troge. „Nur in der chemischen Industrie nicht.“

Nun gibt es sie vielleicht doch: Die Nachrichtenagentur Reuters berief sich auf „einen Vertreter der finnischen EU-Ratspräsidentschaft“, nachdem der erreichte Kompromiss „nur noch von den Mitgliedstaaten und den Parlamentariern gebilligt werden muss“. Reach könnte also wie geplant in der ersten Jahreshälfte 2007 in Kraft treten. Dann müssten die Eigenschaften von rund 30.000 in der EU produzierten oder hierher importierten Chemikalien geprüft und bei einer zentralen Behörde registriert werden.

„Wir bedauern die erhebliche Verschärfung der Zulassungsverfahren“, sagt Martin Wienkenhöver, Vorstandsmitglied beim Leverkusener Chemiekonzern Lanxess über den Kompromiss. Hiltrud Breyer, die für die Grünen im Europaparlament Chemikalienpolitik macht, bezeichnete den Kompromiss dagegen als politisches Trauerspiel: „Es ist beschämend, dass sich das Europaparlament der intensiven Lobbyarbeit der chemischen Industrie gebeugt hat.“

Der Kompromiss sehe vor, dass auch als hochgefährlich eingeschätzte Chemikalien unter bestimmten Bedingungen zugelassen werden müssen – das sind etwa 1.500 Substanzen. Der BUND kritisiert die Substitutionsregeln des Kompromisses: Lediglich langlebige Chemikalien, die sich in der Natur und im Menschen anreichern, müssen ersetzt werden, wenn es weniger gefährliche Alternativen gibt.

„Tragfähig, vernünftig, fair“, nannte dagegen Michael Schroeren, Sprecher des Bundesumweltministeriums den Kompromiss. „Damit wird sowohl den Interessen der Verbraucher als auch denen der Wirtschaft nach handhabbaren Regelungen Rechnung getragen.“

Einerseits sei die Zahl der Tierversuche, die für die Chemikalientests notwendig sind, deutlich eingeschränkt worden. Im Kompromiss ist ein „automatischer Ersatz der Tierversuche, sobald es Alternativen gibt“, festgeschrieben. Außerdem, sagt Schroeren, hätten „Verbraucherinnen und Verbraucher künftig einen Anspruch darauf, zu erfahren, ob in Produkten besonders besorgniserregende Stoffe enthalten sind“.

reach.bdi.info., www.reach-info.de,www.bundgegengift.de