Litvinenkos Rauchertod

Polonium-210: Bei der hysterischen Angst vor dem radioaktiven Gift wird gerne vergessen, dass viele Menschen die bösartige Substanz täglich inhalieren – freiwillig und genüsslich, im Zigarettenrauch

von ARNO FRANK

Es dauerte keine Woche, da hatte die rätselhafte Substanz den Körper des russischen Exagenten Alexander Litvinenko zerstört. Wahrscheinlich wurde ihm das seltene Metall über die Nahrung untergejubelt, denn erst im Inneren des Körpers entwickelt das Isotop seine zerstörerische Alphastrahlung, ein Nebeneffekt radioaktiven Zerfalls. Bei Marie Curie dauerte es knapp 40 Jahre, bis ihr professioneller Umgang mit radioaktivem Material zu einer unheilbaren Leukämie führte. Curie war es auch, die zusammen mit ihrem Mann Pierre 1898 in einem improvisierten Laboratorium unter steinzeitlichen Bedingungen das strahlende Zerfallsprodukt entdeckt und dafür später den Nobelpreis bekommen hatte – zu Ehren ihrer Heimat Polen nannte sie ihre Entdeckung Polonium.

Ein Blatt Papier als Panzer

Um die tödliche Alphastrahlung, die durch den Zerfall des Atomkerns entsteht, zu absorbieren und damit zu „entschärfen“, genügt normalerweise ein einfaches Blatt Papier. Relativ ungefährlich bleibt sie auch dann, wenn sie von außen mit dem menschlichen Organismus in Berührung kommt. Sie dringt nur in die oberen, abgestorbenen Hautschichten ein, wo sie wenig Schaden anrichten kann.

Wird ein Alphastrahler wie das Polonium aber eingeatmet, injiziert oder auf dem Wege der Nahrungsaufnahme ins Innere des Organismus geschmuggelt, sieht die Sache ganz anders aus: In diesem Fall führt der Zerfall unter Aussendung von Heliumkernen zu einer hohen Belastung der betreffenden Organe, da hier eine hohe Dosis der Strahlung auf engstem Raum desaströs auf wichtige Körperzellen einwirkt.

Es bedarf nur 0,1 Mikrogramm reinen Poloniums, um einen Menschen zu töten. Im Körper von Alexander Litvinenko soll so viel Polonium nachgewiesen worden sein, dass es auf dem – zugegebenermaßen beschränkten – Weltmarkt einen Wert von 30 Millionen Euro hätte.

Industriell hergestellt werden solch absurde Mengen der radiotoxischen Substanz tatsächlich, und zwar durch die Bestrahlung von Wismut in speziellen Kernreaktoren, wie dies in Russland geschieht. Alleiniger Abnehmer für das Polonium sind die USA, wo das silberweiß glänzende Metall heute zu Forschungszwecken und vor allem als Wärmequelle in Raumsonden eingesetzt wird – in den Vierzigerjahren diente es wegen seiner ionisierenden Eigenschaften dazu, bei Firestone-Zündkerzen den Funken zu verlängern.

Im Dunkeln leuchtet‘s!

Mit seiner Halbwertzeit von fast 140 Jahren gibt der Alphastrahler so viel Energie ab, dass man unter Laborbedingungen mit bloßem Auge die Umgebung bläulich aufleuchten sehen kann.

Weil auf der Spur der Mörder Litvinenkos auch Spuren von Polonium in Maschinen der British Airways festgestellt wurden, richtete die Fluggesellschaft nun einen leicht hysterischen Aufruf an die immerhin 30.000 Passagiere, die theoretisch mit dem Teufelszeug in Berührung gekommen und damit kontaminiert worden sein könnten.

Dabei bedarf es keineswegs der Nachhilfe postsowjetischer Dunkelmänner, um in tödlichen Kontakt mit Polonium zu kommen – eine Zigarette genügt. Dass Tabakpflanzen generell nicht nur über Phosphatdüngemittel radioaktiv verseucht sind, sondern auch über ihre Blatthaare radioaktive Isotope aus der Atmosphäre filtern, die durch Atombombentests und Satellitenabstürze dort hinein gelangt sind, ist seit 1965 erwiesen – ebenso wie die bei starken Rauchern in den Schleimhäuten der Bronchien und des Lungengewebes gemessene, extrem erhöhte und selbstredend karzinogene Radioaktivität.

Im Vergleich dazu wirken sogar Teer und Nikotin wie menschenfreundliche Vitamine.