: Der Anzughalter parliert plötzlich schwäbisch
Der Film im Kopf der Hauptfigur: In Martin Suters Tragikomödie „Über den Dingen“ am theater rampe stuttgart löst sich die Selbstgewissheit des Managers in nichts auf
Sobald in den subtil-hintergründigen, psychologisch durchdachten Thrillern des Schweizers Martin Suter die Welt seiner Romanhelden ins Wanken gerät, schieben sich undurchschaubare, manchmal fast surreale Vorkommnisse plötzlich in den geordneten Alltag und erschüttern so die Sicherheit von Lebenswelt und Identität der Protagonisten. Weniger bekannt ist, dass der Bestsellerautor bislang vier Theaterstücke geschrieben hat, alle ausgewiesen als Komödien. Im theater rampe stuttgart hat der Opern- und Schauspielregisseur Marcus Lobbes jetzt Suters „Über den Dingen“ inszeniert. Hier sind es die Dinge selbst, die im Single-Leben des Product Managers Robert das Zepter in die Hand nehmen und dafür sorgen, dass dieser bald an seinem Verstand zweifelt.
Als Robert eines Abends nach Hause kommt, um wie gewohnt die Tiefkühlpizza in den Ofen zu schieben, fangen die Gegenstände in seiner Wohnung plötzlich an, mit ihm zu sprechen. Und was sie ihm zu sagen haben, will gar nicht zum Selbstbild des vermeintlich so selbstsicheren Gewinnertyps passen.
Die Zuschauer in der Rampe sitzen entlang den vier Seiten einer überdimensionalen Holzkiste, die vor Beginn des Spiels die Bühne verbirgt. Als der obere Teil des Brettercontainers ein Stück weit hochgezogen wird, schauen wir, ganz nah dran am Geschehen, in ein aseptisch weißes, nicht gerade heimeliges Einzimmerapartment, ausgestattet mit Sofa, Tisch und Kühlschrank sowie den Gegenständen, die dank Lautsprecherverkabelung nach und nach zu sprechen beginnen – vom Sessel, über drei Kissen, Pizza, Topfhandschuh und Tüte bis zum schwäbisch parlierenden Anzughalter plus Hugo-Boss-Jackett. Die intime Raumsituation, ebenfalls von Marcus Lobbes gestaltet, hebt die Trennung zwischen Publikum und Akteuren nahezu auf, zoomt quasi das Theaterspiel dicht heran. Fast will es scheinen, als würde man im Superbreitwandformat den Film im Kopf der Hauptfigur betrachten. Durch Streichungen im Text legt Lobbes sogar nahe, dass es sich eh nur um einen Trip in Roberts Gehirn handeln könnte.
Martin Suter erweist sich wie auch in seinen Romanen als versierter Verwalter des bizarren Geschehens. Es ist kein großes, aber ein routiniert gebautes Stück, das vor allem von der Spannung des Enthüllungsprinzips lebt. Der Witz der Dialoge entsteht daraus, dass Gegenstände menschliche Verhaltensweisen und Kommunikationsstrukturen übernehmen und zu ernstzunehmenden, cleveren Gesprächspartnern werden. Der psychologisch geschulte Sessel bringt Robert schonend bei, dass seine Exfreundin Susi ihn betrogen hat; das sensible Blumenkissen will erst gar nicht damit rausrücken, dass es bei Susis Sexeskapaden Verwendung fand; die neutrale Tüte schlichtet als Mediatorin mit Schweizer Akzent den Streit, der sich nach und nach zwischen Robert und den Dingen entwickelt, weil er die Wahrheit nicht hören will.
Christoph Michael Schüchner, der auch den Dingen seine Stimme geliehen hat, gibt den Robert fast zu treuherzig und liebenswert, um die Identitätskrise, in die der coole Managertyp durch die Konfrontation mit seinen Lebenslügen gerät, in ihrer Brisanz und Abgründigkeit zu vermitteln. Durch diese Harmlosigkeit und den chaplinesken Charme der Inszenierung verschenken es Regie und Darsteller, aus Suters Stück mehr herauszuholen als vordergründige Komik. Als schließlich noch Robert Exfreundin Susi (Petra Weimer) und Dr. Gernheim (Klaus Gramüller) ins Spiel kommen, schwenkt die Inszenierung ins andere Extrem und überzeichnet plakativ ins Trashig-Schräge.
Suters Robert ist ein typischer Vertreter der selbstbezogenen, ihre Einsamkeit hinter einer Fassade von Coolness verbergenden modernen Single- und Businessgesellschaft, deren Gewissheiten sich aufzulösen beginnen. Das fasst der Bestsellerautor auch in seinem Theaterstück in die Form eines subtilen, psychologisch durchdachten Thrillers. Auch wenn der Text weder sprachlich noch inhaltlich an die Qualitäten beispielsweise eines Horváth oder eines Botho Strauß heranreicht, hätte man doch mehr die Tragödie hinter der Komödie, das Psychologische hinter der Thrillerspannung suchen können, als Marcus Lobbes’ mehr amüsante denn brisante Inszenierung das tut. CLAUDIA GASS