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Archiv-Artikel

„Schnucklige kleine Gesamtschulen gründen“

Niedersachsens Regierung hält am Errichtungs-Verbot für Gesamtschulen fest. Der GEW-Vorsitzende Eberhard Brandt erklärt im taz-Interview, warum es spätestens nach der Wahl kippen muss. Hauptschulen werden zu klein

taz: Herr Brandt, in Niedersachsen ist die Gründung von Gesamtschulen verboten. Die SPD hat gestern im Landtag die Aufhebung beantragt und ist an CDU und FDP gescheitert. Ist das Thema damit vom Tisch?

Eberhard Brandt: Nein, weil eine Regierung nicht auf Dauer sagen kann, dass der Elternwille nichts zählt. Es werden 30 Prozent der Kinder, die zur Gesamtschule wollen, abgelehnt, weil es zu wenig Plätze gibt.

Das kratzt die Regierung wenig.

Sie tun so. Aber sie haben Probleme. Die Anmeldequote für die Hauptschulen sinkt rapide. 2003 betrug sie noch 23 Prozent, heute sind es unterm Strich 12 Prozent. Das liegt auch an der Abschaffung der Orientierungsstufe für die 5. und 6. Klasse. Die Eltern von Kindern mit Hauptschulempfehlung wollen für ihre Kinder bessere Abschlüsse und melden sie lieber an der Realschule an. Und Kinder mit Realschulempfehlung werden am Gymnasium angemeldet. Deshalb blieb die Zahl der Realschulanmeldungen mit 37 Prozent relativ konstant während die Zahl der Gymnasialanmeldungen von 33,7 Prozent im Jahr 2003 auf jetzt 42,7 anstieg. Die Hauptschulen werden zu klein, um zu überleben. Schon heute hat die Hälfte nur noch eine Klasse pro Jahrgang. Wenn jetzt auch noch die Schülerzahlen sinken, müssen welche schließen.

Kultusminister Bernd Busemann sagt, Sie rechnen falsch.

Meine Zahlen stammen aus der offiziellen Schulstatistik. Busemann hat im Landtag etwas anderes gesagt. Er verspricht, dass diese Schulen nicht geschlossen werden müssen, wenn die Schülerzahlen sinken. Er würde sogar eine Hauptschule mit 60 Kindern erhalten. Aber das sind nur zwölf Kinder pro Jahrgang. Das kann keiner finanzieren. Herr Busemann müsste für so kleine Klassen sehr viele Lehrerstunden aufbringen. Wenn er jetzt vor der Wahl sagt, die Schulen werden erhalten, sage ich: Topp, die Wette gilt. Er wird nach der Wahl die Schulen schließen. Oder er wird Hauptschulen mit mehreren Außenstellen schaffen und es den Leitern der dann selbst verantworteten Schulen überlassen, Standorte zu schließen.

Warum ist die Landes-CDU in dieser Frage so hartnäckig?

Es geht um Gesichtswahrung. Busemann ist für die begabungsgerechte Schule angetreten, die die Kinder früh in drei Schulen aufteilt. Macht er einen Rückzieher, zeigt es, dass seine Parole falsch war. Aber es gibt andere Stimmen in der CDU.

Was passiert, wenn das Gesamtschulverbot fällt?

Es gab vor dem Verbot 60 Initiativen für neue Gesamtschulen. Da wir jetzt 66 Gesamtschulen haben, kann man mit einer Verdoppelung rechnen. Ich reise viel durch die Gemeinden und weiß von etlichen Schulträgern, dass sie gerne die Erlaubnis für eine Gesamtschule hätten. Die Eltern wollen, dass ihre Kinder vor Ort Abitur machen können und dafür nicht 30 Kilometer fahren müssen. Viele Gemeinden hatten früher Schulzentren mit Orientierungsstufe, Haupt- und Realschule. Darin könnte man schnucklige kleine Gesamtschulen gründen. INTERVIEW: KAIJA KUTTER