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Archiv-Artikel

KOALITION WÜNSCHT SICH MEHR KINDER – MÖGLICHST VON AKADEMIKERN Familienpolitik für die oberen Schichten

Es ist ein wahrer Wettlauf, den sich die beiden Koalitionsparteien in der Familienpolitik liefern. Das neue Elterngeld ist noch gar nicht beschlossen, schon will die SPD die Kita-Gebühren abschaffen – und die Unionsfraktion lässt eine Kommission prüfen, wie man die 145 familienpolitischen Leistungen des Staates besser bündeln kann. Dabei steht diese erstaunliche Vielzahl keineswegs für einen besonderen Eifer bei der Förderung von Kindern, sondern für die widersprüchlichen Vorgaben, was die öffentlichen Gelder denn eigentlich bewirken sollen. Will der Staat ganz allgemein für mehr Geburten sorgen, für mehr Akademikerkinder oder für mehr Chancengleichheit?

Die Union lässt wissen, man solle das eine nicht gegen das andere ausspielen. Doch dieser Ausspruch ist so wohlfeil wie falsch. Die Familienpolitik der großen Koalition geht von zwei Prämissen aus. Erstens: Es gibt zu wenig Kinder. Zweitens: Es gibt vor allem zu wenig Akademikerkinder. Nicht Kinderlosigkeit im Allgemeinen ist das Ärgernis, sondern die angeblich mangelnde Zeugungs- und Gebärfreude der Mittel- und Oberschicht.

Dass eine Selbstrekrutierung der gehobenen Schichten gesellschaftlich nicht wünschenswert ist, gerät dabei aus dem Blick. Alle Statistiken zeigen, dass sich das akademische Milieu nach den Jahrzehnten der Bildungsexpansion heute wieder überwiegend aus sich selbst reproduziert – was für die Innovationsfähigkeit einer Gesellschaft ungünstig ist. Nicht nur um die Steigerung der Geburtenrate kann es gehen, sondern um die Gewährleistung sozialer Aufstiegschancen für Kinder aus bildungsfernen Schichten oder aus Migrantenfamilien. Das ist nicht nur ein Gebot der Gerechtigkeit, sondern auch des gesellschaftlichen Nutzens.

Kostenfreie Kitas für alle könnten dabei durchaus ein richtiger Ansatz sein – wenn die Politik damit nicht wieder am falschen Ende beginnen würde. Nur das letzte Kita-Jahr soll gratis sein, was erneut ein Geschenk an Besserverdienende ist, die zumeist die höchsten Gebühren zahlen. Wichtiger wäre, die frühen Kita-Jahre gezielt für die unteren Schichten kostengünstiger zu gestalten, damit ihre Kinder öfter an der Früherziehung teilnehmen.

RALPH BOLLMANN